Wir setzen die Veröffentlichung von Essays aus der bei unseren Lesern beliebten Reihe „Jüdische Adressen Oldenburgs“ fort. Heute folgt der fünfte Essay aus dieser Reihe. Er ist den Ereignissen des jüdischen Lebens in der Stadt unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewidmet.
Die Karte der jüdischen Orte in Oldenburg [➦ hier klicken]
Der Zweite Weltkrieg ging zu Ende. Am 7. Mai 1945, einen Tag vor dem Untergang des Dritten Reichs, erreichten die alliierten Truppen Oldenburg. Die früher wohlhabende jüdische Gemeinde existierte in der Stadt jedoch nicht mehr. Es ist anzunehmen, dass zu diesem Zeitpunkt kein einziger Jude in der Stadt verblieben war. Einige Gemeindemitglieder kamen jedoch schon kurz darauf wieder nach Oldenburg. Das waren hauptsächlich diejenigen, die es geschafft hatten, aus Deutschland auszureisen, oder die „arische“ Ehegatten hatten und dadurch die Nazizeit überstanden, sowie einige, die als Zwangsarbeiter oder Gefangene das KZ Theresienstadt überlebt hatten. Manche der Zurückgekehrten, beispielsweise der damalige Vorsitzende der Oldenburger Vorkriegsgemeinde Adolf de Beer, Ernst Löwenstein oder Frieda Meiners, versuchten, jüdisches Leben in die Stadt zurückzubringen. Das waren jedoch nur wenige: ein paar ehemalige Oldenburger und Juden aus anderen Ländern, die sich durch einen Wink des Schicksals in Oldenburg einfanden. Nichtsdestotrotz gelang es schon Ende 1945 mit Unterstützung der britischen Militärverwaltung, die „Jüdische Kultusvereinigung Oldenburg e.V.“ als Nachfolgeorganisation der Vorkriegsgemeinde zu gründen. Sie hatte jedoch keine Synagoge, da diese in der Reichspogromnacht 1938 zerstört worden war.
Auf Initiative von Adolf de Beer und mit Hilfe des örtlich ansässigen Militärs gelang es 1946, für die jüdische Kultusvereinigung eigene Räume im Hause Cäcilienstr. 9 (Ecke Cäcilienplatz) zu erwerben. In einem dieser Räume wurde ein Gebetszimmer eingerichtet.
Über dessen feierliche Eröffnung berichtete eine lokale Zeitung am 31. Oktober 1946: „Es war ein ergreifender Augenblick, als die Rolle mit der Heiligen Schrift in den kleinen Raum getragen wurde, in dem das winzige Häuflein Überlebender… versammelt war. Woran diese Menschen gedacht und was sie gefühlt haben mögen in jenem Augenblick, das ist nicht schwer zu begreifen. Sie dachten an ihre nächsten Verwandten, an alle, die ihnen lieb waren, die Gequälten, von der Hand derer ermordet, die vorgaben, all das im Namen des deutschen Volkes zu tun. Fast genau vor acht Jahren wurde die Synagoge niedergebrannt. Heute genügt ein kleiner Gebetsraum, nach der Zeit der Verfolgung die wenigen Überlebenden aufzunehmen“.
Erstaunlicherweise blieb das Haus Nr. 9 in der Cäcilienstraße unversehrt. Natürlich wurde es in all den Jahren mehrmals umgebaut, und heute erinnert nichts mehr an das Gebetszimmer der jüdischen Gemeinde. Nichtsdestotrotz kann man dieses schöne Haus in der ruhigen Straße in der Innenstadt eine der jüdischen Adressen Oldenburgs nennen.
Autor: Yakub Zair-Bek