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Moderner Antisemitismus

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    Antisemitismus, wie jede andere Art von Ideologie, verändert im historischen Kontext seine Formen, gewinnt im Laufe der Zeit einen anderen Charakter und andere Nuancen, basiert jedoch immer auf falschen Stereotypen und Vorurteilen, die an eine menschenfeindliche Weltanschauung grenzen. In diesem Artikel versuchen wir nicht, die Geschichte der Entwicklung des Antisemitismus nachzuverfolgen, die ihren Ursprung in der Antike hat, sondern wir werden versuchen, die heutige Entwicklung zu analysieren und moderne Tendenzen und Formen des Antisemitismus aufzuzeigen. Wer informiert ist, ist gerüstet…, um nicht nur Widerstand zu leisten, sondern auch entgegenzuwirken.

    Antisemitismus, der mit Israel in Verbindung gebracht wird, ist heute in allen politischen Lagern zu finden. Er bietet vielen Gruppen, die gegen Juden eingestellt sind, die Möglichkeit, antisemitische Stimmungen zu verbreiten, ohne direkt Juden zu erwähnen. Diese Verschleierungstaktik führt dazu, dass Antisemitismus wieder akzeptabel wird, selbst an Orten, wo man ihn vielleicht nicht erwartet hätte.

    Besonders beunruhigend ist, dass diese Form des Antisemitismus oft als legitime Kritik an der Politik der israelischen Regierung auftritt. Dabei werden antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien geschickt in die Kritik eingebunden, was ihre Erkennung und Benennung erschwert. Diese Taktik ermöglicht es antisemitischen Ideologien, sich in öffentlichen Diskursen zu verankern und Anerkennung zu finden.

    Ein anschauliches Beispiel für solchen Antisemitismus ist ein Auszug aus einem Lehrbuch für Wirtschaft und Sozialkunde für die algemeinbildende Schule, das 2011 in Jordanien veröffentlicht wurde. Im Abschnitt über die regionale Wirtschaft ist eine Karte der Nachbarländer abgebildet, auf der anstelle des Staates Israel „Staat Palästina“ verzeichnet ist. Dies steht nicht nur im Widerspruch zum internationalen Recht, sondern fördert auch von Schuljahren an eine herablassende und feindselige Haltung gegenüber Israel.

    Ein weiteres Beispiel für das Missverständnis des Unterschieds zwischen gesunder Kritik an politischen Überzeugungen und antisemitischer Rhetorik möchten wir anführen. Im April 2024 wurde ein Vorfall weithin bekannt, bei dem die Tür einer Synagoge in der niedersächsischen Stadt Oldenburg in Brand gesetzt wurde, worüber auch unsere Website in dem Artikel „Antisemitismus – ein klares Nein!“ berichtete. Auf dem Gehweg vor der Synagogentür entstand fast sofort eine Gedenkstätte aus frischen Blumen und Kerzen als Zeichen der entschiedenen Verurteilung des Antisemitismus.

    Oldenburger Synagoge: Spuren von Brandstiftung, Blumen und Kerzen in Solidarität gegen Antisemitismus, April 2024.

    An einem der folgenden Tage wurde unsere Redaktion Zeuge eines kleinen, aufschlussreichen Vorfalls in der Nähe des Ortes mit Blumen und Kerzen. Ein älteres nichtjüdisches Paar ging einfach an der Synagoge vorbei und blieb stehen, um sowohl die Spuren des Brandes als auch den spontanen Solidaritätsort mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde zu betrachten. Plötzlich sagte der Mann: „Na ja! Ihr habt doch selbst Schuld, die Zwei-Staaten-Lösung wäre doch besser.“ Natürlich kann diese Aussage als politische Meinung interpretiert werden, aber sie wird dennoch als antisemitisch wahrgenommen und richtet sich eindeutig gegen die eigenen Mitbürger, die in Deutschland leben, größtenteils einen deutschen Pass haben, aber dem Judentum angehören und „schuld“ an geopolitischen Meinungsverschiedenheiten im Nahen Osten sein sollen.

    Antisemitische Stereotype sind Vorurteile und falsche Vorstellungen über Juden, die oft tief in der Geschichte verwurzelt sind und über Generationen hinweg bestehen bleiben. Hier sind einige Beispiele moderner Formen des Antisemitismus:

    • Verschwörungstheorien: Ein weit verbreitetes antisemitisches Stereotyp ist die Vorstellung, dass Juden eine geheime, mächtige Verschwörung kontrollieren, die auf die Weltherrschaft abzielt. Dies äußert sich in falschen Behauptungen, dass Juden die Medien, Banken oder Regierungen kontrollieren.
    • Gier: Ein weiteres verbreitetes Stereotyp ist die Vorstellung, dass Juden besonders gierig oder habgierig sind. Dieses Vorurteil hat historische Wurzeln und wurde oft verwendet, um Juden für wirtschaftliche Probleme verantwortlich zu machen.
    • Doppelte Loyalität: Juden wird oft doppelte Loyalität unterstellt, also gleichzeitige Treue zu ihrem Heimatland und zu Israel. Dies wird häufig genutzt, um ihre Loyalität und Ehrlichkeit in Frage zu stellen.
    • Leugnung oder Verharmlosung des Holocausts: Einige antisemitische Stereotype beinhalten die vollständige Leugnung oder Verharmlosung des Holocausts. Dies kann sich in Behauptungen äußern, dass der Holocaust übertrieben oder erfunden wurde, um Sympathien oder politische Vorteile zu erlangen.
    • Negative Charaktereigenschaften: Juden werden oft mit negativen Charaktereigenschaften wie Hinterlist, Unehrlichkeit oder Boshaftigkeit assoziiert. Diese Stereotype sind tief verwurzelt und werden häufig in antisemitischen Karikaturen und Propaganda verwendet.

    Wir möchten die Verschwörungstheorien näher betrachten, da gerade diese Theorien die Grundlage für andere moderne Formen des Antisemitismus bilden.

    Der jüdische Weltverschwörung: Diese Theorie behauptet, dass Juden heimlich die Welt kontrollieren und manipulieren. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die „Protokolle der Weisen von Zion“, ein gefälschtes Dokument, das einen imaginären jüdischen Plan zur Erlangung der Weltherrschaft beschreibt. Die Protokolle wurden erstmals 1903 in St. Petersburg unter dem Titel „Protokolle der Weisen von Zion oder das Testament der Weisen von Zion“ veröffentlicht. Der Autor oder die Autoren des Originaltexts bleiben unbekannt. In dem Text wird behauptet, dass jüdische Weise einen Plan zur Untergrabung christlicher Gesellschaften und zur Übernahme der weltlichen Macht entwickelt haben. Sie sollen angeblich Finanzinstitutionen, Medien und politische Strukturen kontrollieren, um ihre Ziele zu erreichen. Praktisch alle Forscher und Historiker haben die „Protokolle“ als Fälschung und antisemitische Propaganda anerkannt. Sie wurden verwendet, um Antisemitismus und politische Verschwörungstheorien zu schüren, einschließlich der nationalsozialistischen Propaganda in Deutschland zu verschiedenen Zeiten der Geschichte. Trotz ihrer Falschheit bleiben die „Protokolle“ ein verbreitetes Element antisemitischer Literatur und werden bis heute in verschiedenen Formen extremistischer und anti-jüdischer Propaganda verwendet, ergänzt durch imaginäre Bestätigungen aus der modernen Geschichte.

    Die Große Ersetzung: Diese Theorie behauptet, dass Juden angeblich hinter einem Plan stehen, das christliche Bevölkerung Europas durch muslimische Einwanderer zu ersetzen. Sie wird oft in antisemitischer Propaganda und unter extremistischen Gruppen verwendet, um Hass zu schüren und Juden der Verschwörung gegen europäische Kulturen und Völker zu beschuldigen. Der Angriff in Halle, Deutschland, im Oktober 2019 ist eines der bekanntesten Beispiele, die mit dieser Theorie in Verbindung stehen. Der Täter, der während des jüdischen Feiertags Jom Kippur das Feuer eröffnete, äußerte deutlich antisemitische und xenophobe Überzeugungen. Er wollte Aufmerksamkeit auf seine Vorstellungen von einer vermeintlichen Bevölkerungsaustausch-Idee lenken und Juden in diesem Prozess beschuldigen.

    Die Theorie der „Großen Ersetzung“ ideologisch überschneidet sich mit extrem rechten und nationalistischen Strömungen, die in den letzten Jahren in einigen Ländern Westeuropas zunehmend aktiver geworden sind. Solche Ereignisse unterstreichen die Bedeutung des Kampfes gegen Rassismus, Xenophobie und Antisemitismus in der modernen Gesellschaft.

    Die Neue Weltordnung (NWO, englische Abkürzung oder Novus Ordo Seclorum auf Lateinisch): Dies ist eine Verschwörungstheorie, die behauptet, dass eine geheime Elite, einschließlich vermeintlicher Vertreter der Juden, darauf abzielt, eine globale Herrschaft zu etablieren, indem sie Schlüsselaspekte der Weltpolitik, Wirtschaft und Kultur kontrolliert. Ein konkretes Beispiel für das Auftreten der Theorie der Neuen Weltordnung findet sich in der Verbreitung solcher Überzeugungen unter extremistischen Gruppen und Internet-Verschwörungstheoretikern. Zum Beispiel betonen einige Websites und Foren, die die Theorie der Neuen Weltordnung propagieren, die Behauptung, dass globale Finanzinstitutionen und Medien von einer geheimen Elite kontrolliert werden, einschließlich einer erfundenen oder historisch falsch dargestellten Rolle der Juden in diesem Prozess.

    Novus ordo seclorum
    Neue Weltordnung

    „Novus ordo seclorum“ auf dem US-Ein-Dollar-Schein und ein Aufruf zum Widerstand gegen die „Neue Weltordnung“

    Diese Theorie wird auch oft mit Vorwürfen verbunden, dass sie versucht, die nationale Souveränität einzuschränken, kulturelle Identitäten zu zerstören und absolute Macht über die gesamte Menschheit zu errichten. Als Folge solcher Überzeugungen verstärkt sich häufig die antisemitische Rhetorik und Xenophobie, was ein gefährliches Umfeld für die Entwicklung extremistischer Ideologien und Handlungen schafft.

    Verschwörungstheorien über das Coronavirus: Während der COVID-19-Pandemie wurden verschiedene Verschwörungstheorien verbreitet, einschließlich antisemitischer Behauptungen über Juden, die angeblich für die Verbreitung des Virus verantwortlich sind oder von der Pandemie profitieren. Ein konkretes Beispiel für solche Propaganda findet sich online, wo einige Gruppen und Individuen in sozialen Netzwerken und Foren Juden beschuldigten, COVID-19 zu entwickeln und zu verbreiten, um ihre Macht oder finanziellen Vorteile zu erhöhen. Diese Behauptungen können falsche Berichte enthalten, dass Juden pharmazeutische Unternehmen kontrollieren, die Impfstoffe entwickeln, oder dass die Pandemie Teil einer groß angelegten Verschwörung zur Errichtung globaler Kontrolle ist. Die Verbreitung von Desinformation und antisemitischen Aussagen erzeugt Besorgnis in der Gesellschaft und verstärkt Hass und Xenophobie. Somit betonen Verschwörungstheorien über COVID-19, die antisemitische Elemente beinhalten, die Notwendigkeit, in der digitalen Ära gegen Fehlinformationen und extremistische Überzeugungen vorzugehen.

    Alle genannten Theorien sind nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, da sie Hass und Gewalt schüren. Es ist wichtig, sie zu erkennen und ihnen aktiv entgegenzutreten.

    Die Massenmedien spielen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Sie haben die Macht, die öffentliche Meinung zu formen und Diskurse zu lenken. Leider verstärken einige Medien durch einseitige Berichterstattung oder die Verbreitung von Halbwahrheiten antisemitische Narrative. Sensationslust und der Wettbewerb um hohe Einschaltquoten können dazu führen, dass komplexe politische Situationen vereinfacht und verzerrt werden. Dies kann Vorurteile schüren und antisemitische Einstellungen legitimieren.

    Soziale Medien spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung des mit Israel verbundenen Antisemitismus. Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram ermöglichen es, Informationen schnell und weitreichend zu verbreiten. Leider werden diese Plattformen auch genutzt, um Hassideen und antisemitisches Material zu verbreiten. Algorithmen, die darauf ausgelegt sind, hochinteraktiven Content zu fördern, können dazu führen, dass provokative und polarisierende Beiträge auffälliger werden. Dies verstärkt die Verbreitung antisemitischer Erzählungen und trägt zur Normalisierung solcher Ansichten bei.

    Bildungseinrichtungen können eine zentrale Rolle im Kampf gegen den mit Israel verbundenen Antisemitismus spielen. Schulen und Universitäten sind Orte, an denen junge Menschen lernen, kritisch zu denken und komplexe politische und historische Themen zu verstehen. Eine gründliche Ausbildung über die Geschichte des Antisemitismus, die Gründung und Politik des Staates Israel sowie die Unterscheidung zwischen legitimer Kritik und antisemitischen Vorurteilen ist wichtig. Durch Aufklärung und Erhöhung des Bewusstseins können Bildungseinrichtungen dazu beitragen, Vorurteile zu verringern und ein Bewusstsein für die Gefahren antisemitischer Ideologien zu schaffen.

    Im Mai 2024 fanden pro-palästinensische Proteste an Dutzenden Universitäten in den USA statt, die außer Kontrolle gerieten und zu antisemitischen Aktionen eskalierten. Studenten skandierten: „Brennt Tel Aviv nieder!“ An der Yale University wurden mehrere Dutzend Studenten festgenommen. Harvard schloss seine Tore für die Öffentlichkeit. Die Universitätsleitung wusste nicht, wie sie mit den Protest-Camps auf dem Campus umgehen sollte. Die Polizei räumte die Zelte, aber sie wurden wieder aufgebaut. US-Präsident Biden verurteilte die Gewalt bei diesen Protesten scharf und betonte, dass „Bürger nicht das Recht haben, Chaos zu stiften“. Bemerkenswert ist, dass es sich hier um organisierten Druck von antiisraelischen Kräften handelt, die antisemitische Stimmungen unter den Jugendlichen schüren, um ihren politischen Interessen zu dienen. Als indirekter Beweis dafür, dass diese Proteste finanziert und organisiert wurden, dienen identische Zelte auf drei verschiedenen Campussen. Ob sie zentral beschafft wurden oder ob dies Zufall war, bleibt eine rhetorische Frage.

    Protestzelte an US-Universitäten, Mai 2024

    Politische Parteien spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle in diesem Kontext. Sie tragen die Verantwortung dafür, klare Positionen gegen Antisemitismus zu vertreten und entschlossen jeder Form von Feindseligkeit gegenüber Juden entgegenzutreten. Leider gibt es Fälle, in denen politische Akteure antisemitische Stimmungen nutzen, um Wählerstimmen zu gewinnen oder politische Gegner zu diskreditieren. Dies ist besonders gefährlich, da es dazu führen kann, dass antisemitische Stimmungen in der Gesellschaft normalisiert und verstärkt werden. Parteien müssen wachsam sein und darauf achten, dass ihre Kritik an der Politik Israels nicht in antisemitische Rhetorik abrutscht. Sie sollten sich aktiv für differenzierte und objektive Debatten einsetzen und konsequent gegen antisemitische Tendenzen in ihren Reihen vorgehen.

    Nichtregierungsorganisationen (NGOs) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle im Kampf gegen mit Israel verbundenen Antisemitismus. Viele NGOs weltweit setzen sich für Menschenrechte ein und kämpfen gegen Diskriminierung. Sie haben die Möglichkeit, durch Bildungsprogramme, Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein für die Gefahren des Antisemitismus zu schärfen und Vorurteile abzubauen.

    Es wäre schön, diesen Überblick mit demselben Satz zu beenden, der auch am Anfang des Artikels verwendet wurde, um eine bekannte alte Weisheit neu zu formulieren: „Praemonitus, praemunitus“ — Wer informiert ist, ist gerüstet…

    Autor: Pavel Goldvarg (Foto aus dem Archiv des Autors und aus offenen Quellen)

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