Im Frühjahr 2021 stürmte überraschend die Gruppe The Alibi Sisters, bestehend aus den Schwestern Anna und Angelina Zawalski, die ukrainischen Charts. Die Zuschauer der beliebten Gesangsshow „Holos Krainy“ („Stimme des Landes“) auf dem ukrainischen Fernsehsender 1+1 diskutierten in den sozialen Medien eifrig über die Rückkehr der Gruppe „Alibi“: Nach einer langen Pause traten die Schwestern Zawalski erstmals mit einem neuen Projekt auf und eröffneten es mit dem Lied „Chiribim-Chiribom“ auf Jiddisch.
„Lomir zingen kinderlech
a zemerl tzuzamen
a niggele a freylecher
mit vertelech vos gramen.
Di mame kocht a lokshn zup
mit kashe un mit kneydlech
kumt der yontev Purim,
veln mir shpiln zikh in dreydlech.“
So klingt diese Strophe des Liedes in der poetischen Übersetzung ins Deutsche von @DerBote-DerShlikh.
«Lass uns singen, Kinderlein,
Ein Lied zusammen, froh und fein,
Ein fröhliches, ein kleines Stück,
Mit Worten, die im Reime-Glück.
Die Mama kocht ’ne Nudelsuppe
Mit Kascha und mit Knödelpuppe,
Kommt Purim, das schöne Fest,
Spielen wir mit Dreideln, fest und best.»
Dieses Lied ist vor allem in der Interpretation der Barry Sisters, eines amerikanischen Jazz-Duos, bekannt. Später sangen viele Künstler „Chiribim-Chiribom“, darunter die Art-Gruppe Soprano von Michail Turetski und andere.
Wer sind die Schwestern Zawalski? Dieser Name sagt den Lesern unserer Website bisher wenig, obwohl er ukrainischen Zuschauern und Hörern gut bekannt ist. Die Geschwister Anna (geb. 1982) und Angelina (geb. 1983) wurden in Kiew in die Familie des Musikers Alexander und der Philologin Albina Zawalski geboren. Zwei hübsche Mädchen, die ihre Eltern schon seit frühester Kindheit mit ihren vielfältigen Talenten erfreuten. Die kreative Biografie der jungen Talente begann, als sie noch sehr jung waren. Von ihrem ersten Bühnenauftritt wissen die Schwestern nur aus den Erzählungen ihrer Eltern. Angelina war erst fünf und Anna sechs Jahre alt, als sie zum ersten Mal bei einem Konzert mit dem Folkloreensemble „Strumochok“ („Bächlein“) auftraten, einem Preisträger vieler internationaler Festivals, geleitet von ihrem Vater Alexander Zawalski.
Interessanterweise war schon damals ein Geist des Wettbewerbs bei den Mädchen vorhanden. Zwei Jahre später nahmen sie als Duo „Alga“ an dem Kinder-Musikwettbewerb „Fant-Lotto Nadeshda“ im ukrainischen Fernsehen teil.
Anja und Alina (so wurde ihr Name zu Hause abgekürzt) nahmen am Musikfernsehwettbewerb „Stars, auf die Bühne!“ auf dem Ersten nationalen Kanal teil und debütierten bereits 1996 als Moderatoren dieses Wettbewerbs. Die Mädchen probierten sich auch im Schreiben ihrer eigenen Songs aus. Die Ältere, Anja, schrieb die Texte, während Alina die Musik komponierte. Der kreative Prozess begeisterte die Mädchen ungemein. Aus diesen Experimenten entstand das Duo „Vizavi“ und ein neuer Abschnitt in der Karriere der Zawalski-Schwestern begann.
Die Mädchen beendeten erfolgreich die allgemeinbildende Schule und erhielten gleichzeitig eine grundlegende musikalische Ausbildung im Violinkurs an der Musikschule. Im Jahr 1998 gründeten sie das Mädchenquartett „Kapuchchino“, mit dem Anna und Angelina zwei Alben aufnahmen: „Regentropfen“ (1999) und „Das Mädchen aus dem Osten“ (2000). Außerdem drehten sie vier Musikvideos: „Kapuchchino“, „Süßer Junge“, „Ein neues Märchen“ und „Schau nicht auf mich“. Die Sängerinnen gingen Hand in Hand durchs Leben: Sie schlossen gleichzeitig das College mit dem Schwerpunkt Gesang ab und erhielten eine höhere Ausbildung an der Akademie für Kultur im Fachbereich Regie.
In der Nähe des alten Beigelman, ebenfalls in Kiew auf Podol, lebte ein weiterer Jude – der Journalist und Dichter Jakov Dawydow. Seine Biografie ist reich an „weißen Flecken“: Es ist praktisch nichts über seine Familie bekannt, es gibt keine Informationen darüber, wann und wo er geboren wurde, wo er studierte, bevor er Journalist wurde… Und dennoch ist genau bekannt, dass Jakov kurz nach dem Bürgerkrieg von Kiew nach Odessa umzog, wo er für verschiedene Zeitungen arbeitete. Die Leser der „Odesskije Nowosti“ kannten ihn als Jadova. Außerdem schrieb er Feuilletons in Versen und veröffentlichte sie unter dem Pseudonym „Jakov Botsman“ in der Odessaer Zeitung „Morjak“. Konstantin Paustowski schrieb: „Im ‚Morjak‘ gab es zwei Feuilletonisten: den lebhaften Dichter Jadov (‚Botsman Jakov‘) und den Prosaisten Wassili Reginin. Jakov, der sich auf die Kante seines Stuhls in der Redaktion setzte, schrieb eilig und fehlerfrei seine lustigen Lieder. Am nächsten Tag kannte sie ganz Odessa, und manchmal erreichten sie sogar Moskau nach einem Monat oder zwei.“
Im Jahr 2000 entschieden sich Anja und Alina nach Rücksprache mit ihrem Vater, das Quartett „Kapuchchino“ zu verlassen und ihre eigene Gruppe zu gründen. Im Frühling 2001 wurde das Duo „Alibi“ geboren. Ihr Vater, der talentierte Alexander Zawalski, wurde der Gründer der Gruppe und übernahm die Vermarktung seiner Kinder im Showgeschäft. An der Schöpfung des Projekts und seiner kreativen Seite war anfangs der Komponist, Sänger und Soundproduzent Dmitri Klimaschenko beteiligt. Im Herbst 2002 drehten sie ihr erstes Musikvideo zum Lied „Ja oder Nein“. Die Arbeit des Regisseurs Maxim Papernik half dem Duo, beim Publikum in Erinnerung zu bleiben. So entstand die erste Girlgroup in der Geschichte des ukrainischen Showgeschäfts. Die Zawalski-Schwestern lebten buchstäblich mit der Musik, die sie spielten. Ihr neuer Stil eroberte ein immer breiteres Publikum. Die Mädchen hatten nicht vor, sich auf ihren Erfolgen auszuruhen, sie nahmen ständig an verschiedenen Festivals und Wettbewerben teil, brachten neue Alben heraus und drehten Musikvideos. Ihre Songs „Geständnis“ und „Tabu“ erhielten Auszeichnungen beim Telefestival „Lied des Jahres“. Das Video zum Lied „Tabu“ (Regisseur: Alan Badoev) gefiel dem Publikum so sehr, dass es lange Zeit die Hitparaden nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Ausland anführte.
Die Mädchen wurden erwachsen, und ihre Kunst wurde immer reifer und femininer. Das Duo zog bei ihren Konzerten ganze Stadien von Fans an, und ihre Tourneen führten sie durch ganz Ukraine. Gleichzeitig debütierte Anna Zawalska im Jahr 2007 als Dichterin, als ihr erster Gedichtband „Langes Abschied“ veröffentlicht wurde. Die Dichterin erhielt den Grand Prix beim Charkiw-Festival „Welt der Bücher“ im Jahr 2010, an dem Schriftsteller aus der ganzen Welt teilnahmen.
Die gemeinsame Arbeit der Schwestern dauerte bis zum Jahr 2012 an. Das Duo war ein Star: junge Schönheiten, erfolgreiche, talentierte Künstlerinnen… Es schien, als könnten sie noch lange zusammenarbeiten. Aber im Jahr 2012 entschieden die Sängerinnen, ihre künstlerische Tätigkeit „auf Pause“ zu setzen. Später wurde bekannt, dass sie eine Solokarriere beginnen wollten. „Jede Messlatte muss höher gelegt werden als die vorherige“, sagte Anna. Die Suche nach ihrem eigenen Weg dauerte etwa fünf Jahre. In dieser Zeit konnten beide Zawalski-Schwestern tatsächlich eine Solokarriere aufbauen und zusätzlich Familien gründen: Anna heiratete den Komponisten und Arrangeur Dmitri Saratski, sie haben einen Sohn namens Ilja, und Alina hat zwei Kinder – einen Jungen und ein Mädchen. Es war jedoch nicht einfach, Mutterschaft und Auftritte zu vereinbaren. So gestand Anna Zawalska, die auf die Bühne zurückkehrte, als ihr Sohn gerade drei Monate alt war: „Ich habe eine Zeit der Depression durchgemacht danach, es war sehr schwierig. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, aber wir haben das nur in meinem engsten Kreis diskutiert. Und dann habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich eine persönliche Pause brauche, um einfach mit neuen Kräften ins normale Leben zurückzukehren.“
И so kehren die Schwestern auf die Bühne zurück. Bis Ende 2018 kündigten die Zawalskis die Wiederaufnahme ihrer gemeinsamen künstlerischen Tätigkeit an. Warum haben sich Anna und Alina entschieden, wieder zusammen zu singen? Wie zu Beginn ihrer Karriere trug ihr Vater erneut dazu bei, sie zu vereinen. „Er hatte einen Jubiläum, und wir wussten, dass es für ihn kein besseres Geschenk geben würde, als uns wieder zusammen auf der Bühne zu sehen“, sagen die Schwestern.
Zusammen damit empfinden die Künstlerinnen eine gewisse Nostalgie für vergangene Zeiten und möchten wieder diese einzigartige Verbindung spüren, die sich zwischen ihnen auf der Bühne bildet. Die Gruppe heißt jetzt The Alibi Sisters, was einerseits an den Namen des „alten“ Duos „Alibi“ erinnert und andererseits an die Marke des berühmten amerikanischen Jazz-Duos The Barry Sisters. Und das ist kein Zufall. Die Zawalskis kehrten auf die Bühne zurück, allerdings mit einem völlig neuen künstlerischen Stil und haben ihr Image komplett geändert. Jetzt singen die Schwestern Lieder auf Jiddisch. Kürzlich haben The Alibi Sisters auf ihrem YouTube-Kanal ein Video mit mehreren Songs aus dem Repertoire von The Barry Sisters veröffentlicht. Darunter bekannte Hits wie „Bublitchki“ („Bagels“), „Papirossen“ („Kauft euch Zigaretten“), „Bei Mir Bist Du Shein“ („Bei mir bist du schön“), der berühmte Hit „Yuh Mein Liebe Tochter“ („Ja, mein liebes Töchterlein“), die lyrische Komposition „Tsi Shpait“ („Zu spät“) und andere. Die Schwestern haben diese live mit Begleitung einer Band aus Violine, Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Kontrabass, Klarinette und Trompete aufgeführt.
Visuell und stilistisch ist das neue Projekt in Retro-Ästhetik gehalten. Die Schwestern haben die Bühnenoutfits der 50er- und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts angenommen, jedoch nur teilweise den damals typischen Ausdruck beibehalten und ihm einen modernen Klang hinzugefügt. Ein „lebendiges“ Orchester, exquisite Kostüme – lange Abendkleider mit offenen Schultern, theatralisches Licht und makelloser Klang – all das verleiht dem Auftritt Glanz und Charme, die dieser Bühnenära eigen sind. Obwohl das Duo das Repertoire der Barry Sisters aufführt, imitieren Anna und Angelina sie keineswegs, sondern kreieren eigenständige theatralische Vorführungen. Die Zuschauer des Projekts haben sehnsüchtig auf die Veröffentlichung neuer Lieder durch das Duo gewartet und haben nach deren Auftritt ihre begeisterten Kommentare hinterlassen.
Anna Zawalska bemerkt: „Wir haben ein enormes Interesse an unserem Projekt mit Jiddischen Liedern weit über die Grenzen der Ukraine hinaus gesehen. Uns schreiben Leute aus Amerika, Israel, Polen, Deutschland, Österreich. Dieses Feedback ist sehr wertvoll, da viele Lieder aus dem Repertoire der Barry Sisters, die wir jetzt singen, gerade auf dem Gebiet der heutigen Ukraine entstanden sind. Durch Musik möchten wir verlorene oder vergessene Seiten unserer gemeinsamen kulturellen Biografie wiederfinden.“ Angelina fügt hinzu: „Wir planen, unser Repertoire mit neuen Liedern in Jiddisch sowie in Ukrainisch, Russisch, Moldawisch und anderen Sprachen zu erweitern, die mit der Region verbunden sind, in der die Klezmer-Tradition entstanden und verbreitet ist. Wir möchten die tiefe Verbindung verschiedener Nationalitäten auf dem Gebiet der Ukraine zeigen und unsere gemeinsamen Wurzeln verfolgen.“
Ich möchte noch betonen, dass es besonders positiv ist, dass ausgerechnet in Kiew, einem der wichtigsten historischen Zentren der Aschkenasim-Kultur, das im 20. Jahrhundert über 90% seiner jüdischen Bevölkerung verloren hat, Nicht-Jüdinnen Lieder in Jiddisch singen, einer Sprache, die scheinbar schon verschwunden ist.
Über die Musik der Aschkenasim, die von dem Duo The Alibi Sisters gespielt wird, und wie diese beiden dunkelhaarigen, schlanken Schönheiten auf der Bühne aussehen, zu erzählen, ist eine undankbare Aufgabe. Ich würde den Lesern raten, einfach im Internet nach Videos mit Aufnahmen dieser Lieder zu suchen, sie anzusehen und anzuhören, und zweifellos dabei Vergnügen zu haben. Gemeinsam können wir dann auf neue Hits dieser wunderbaren Künstlerinnen aus der Ukraine warten.
Autor: Yakub Zair-Bek