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„Erinnern wir uns an alle mit Namen…“

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    Unserer Website hat ihre Leser bereits darüber informiert, dass man in Oldenburg seit 2021 – zusätzlich zu der monumentalen Gedenkstele in der Peterstraße, auf der die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus namentlich aufgeführt sind – ihrer mit sogenannten „Erinnerungszeichen“ gedenkt. Diese werden zu Ehren der Frauen, Männer und Kinder gesetzt, die während der nationalsozialistischen Diktatur aufgrund rassistischer und religiöser Verfolgung ums Leben kamen. Im Unterschied zu vielen anderen Städten Deutschlands verzichtete Oldenburg – dem Beispiel Münchens folgend – auf die Verlegung von „Stolpersteinen“ auf den Gehwegen vor den Häusern, in denen NS-Opfer lebten, oder vor Geschäften und Büros, in denen sie arbeiteten. Dies geschah in erster Linie aus Respekt vor der örtlichen Jüdischen Gemeinde, die das Projekt der Gehweg-Stolpersteine ablehnte.

    Als Alternative zu den „Stolpersteinen“ wurden in München – erstmals in Deutschland – Erinnerungszeichen auf Augenhöhe an den Orten installiert, an denen jene Jüdinnen und Juden lebten und arbeiteten, die während der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden. Diese Erinnerungszeichen gibt es in zwei Hauptvarianten – als Wandtafeln an den Fassaden von Gebäuden, oder als Stelen im öffentlichen Raum. Die Erinnerungszeichen enthalten die wichtigsten Lebensdaten der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, Informationen über ihr Schicksal und – sofern vorhanden – auch Fotografien.

    In Oldenburg entschied man sich, die Münchner Erfahrungen zu übernehmen und Erinnerungszeichen als Form des Gedenkens an die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen zu installieren. Zu diesem Zweck vereinbarten die Oberbürgermeister beider Städte – Jürgen Krogmann für Oldenburg und Dieter Reiter für München – die Einführung von Erinnerungszeichen in Oldenburg, die den bereits in München angebrachten entsprechen. Damit wurde Oldenburg nach München und Ingolstadt zur dritten Stadt, in der solche „Münchner Erinnerungszeichen“ umgesetzt werden.

    Oberbürgermeister Jürgen Krogmann.
    Quelle: © Stadt Oldenburg

    Die Anbringung der Erinnerungszeichen erfolgt in Zusammenarbeit der Stadt mit dem Filmprojekt-Verein Werkstattfilm sowie dem Forschungszentrum Nationalsozialismus an der Universität Oldenburg. Beide Einrichtungen verfügen über umfangreiches Archivmaterial – sowohl zur „Arisierung“ jüdischen Eigentums als auch zu den Lebenswegen der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Die Finanzierung der Herstellung aller Erinnerungszeichen erfolgt ausschließlich durch freiwillige Spenden und Sponsoring, unterstützt von der Oldenburger Bürgerstiftung (Oldenburger Bürgerstiftung) in Kooperation mit der Stadt Oldenburg und dem Verein Werkstattfilm. Die städtischen Behörden übernehmen die Installation, Montage sowie den Schutz und Erhalt der Erinnerungszeichen.

    Projektleiter von „Erinnerung auf Augenhöhe“: Dietmar Schütz
    © Stadt Oldenburg

    Jahre nachdem die Jüdische Gemeinde Oldenburg sich gegen die Verlegung von Stolpersteinen ausgesprochen hatte, initiierte Dietmar Schütz, ehemaliger Oberbürgermeister und Vorsitzender der Oldenburger Bürgerstiftung, das Projekt „Erinnerung auf Augenhöhe“. Heute sind an vielen Orten der Stadt – überwiegend jedoch im Zentrum, etwa in der Achternstraße, Kurwickstraße, Gartenstraße, Lange Straße und anderen Straßen – insgesamt 88 Erinnerungszeichen angebracht. Sie erinnern an die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner Oldenburgs, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes wurden, sowie an die Häuser, in denen sie vor der Tragödie lebten. Auf der Website der Oldenburger Bürgerstiftung sind zudem kurze Biografien der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung veröffentlicht und, sofern verfügbar, auch ihre Fotografien.

    Die Erinnerungszeichen werden aus Messing gefertigt und – sofern sie nicht an einer Hauswand angebracht werden – auf speziellen Säulen aus hellem Metall montiert. Sehr ungewöhnlich ist das Design der Porträts der Opfer des nationalsozialistischen Terrors, die ein wesentlicher Bestandteil der Erinnerungszeichen sind: Sie werden mithilfe einer besonderen Technik auf die Metallplatten der Zeichen übertragen, was ihnen eine besonders eindrucksvolle und emotionale Wirkung verleih

    Am Sonntag, dem 9. November 2025, am Jahrestag der „Reichspogromnacht“, hat die Stadt Oldenburg gemeinsam mit der Oldenburger Bürgerstiftung und Nachfahren der Familie Meyberg zwei neue Erinnerungszeichen auf Augenhöhe eingeweiht. Die an der Peterstraße 6 angebrachten Zeichen sind Fanny und Julius Meyberg gewidmet, die einst an diesem Ort lebten, deren Leben jedoch – wie das vieler anderer jüdischer Bürgerinnen und Bürger – von den nationalsozialistischen Tätern ausgelöscht wurde. Die auf der Stele angebrachten Porträts der ermordeten Mitglieder der Familie Meyberg wurden mittels Lasergravur aufgebracht.

    „Erinnerungszeichen“ zum Gedenken an die Familie Meyberg
    © M. Beilis

    Die bewegende Zeremonie zur Einweihung des „doppelten“ Erinnerungszeichens, an der sowohl Offizielle als auch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Oldenburgs teilnahmen, fand in Anwesenheit des Enkels von Fanny Meyberg, Mike Meyberg, statt. Begleitet wurde er von seiner Tochter Linda und von Nitzan Ariel, dem Urenkel von Fanny Meyberg. Die Meybergs waren aus Plano (Texas, USA) angereist. Nitzan Ariel lebt in Haifa (Israel). Bei der Eröffnung des Mahnmals sprach der Projektleiter von „Erinnerung auf Augenhöhe“, Dietmar Schütz, der erklärte: „Mit diesen Erinnerungszeichen geben wir den vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern symbolisch ihren Platz in unserer Stadt zurück. Das jüdische Leben, das einst ein fester Bestandteil Oldenburgs war, kehrt so in das Bewusstsein der heutigen Generation zurück.“

    Vor der Einweihung des Mahnmals begrüßte die Bürgermeisterin von Oldenburg, Nicole Piechotta, die Gäste herzlich beim Empfang im Alten Rathaus. Sie dankte insbesondere den Mitgliedern der Familie Meyberg dafür, dass sie den weiten Weg nach Oldenburg auf sich genommen hatten: „Ihre Anwesenheit ist ein bewegendes Zeichen unseres gemeinsamen Erinnerns. Mit Ihrem Besuch senden Sie gewissermaßen eine Botschaft der Versöhnung.“ Die Bürgermeisterin erinnerte die Anwesenden daran, dass Oldenburg als das erste Land im ehemaligen Deutschen Reich, in dem die Nationalsozialisten bereits im Jahr 1932 an die Macht gekommen waren, eine besondere Verantwortung trage: „Diese Vergangenheit lastet schwer auf uns.“ Frau Piechotta äußerte die Hoffnung, dass solche Mahnmale dazu beitragen werden, eine Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit zu verhindern.

    Ein kurzer Überblick über die Biografie der jüdischen Familie, zu deren Gedenken die Erinnerungszeichen in der Peterstraße eingeweiht wurden. Fanny Meyberg (geb. Stiefel, 1872) und ihr Mann Meir Meyberg (1866) gehörten zu einer Familie, die jahrzehntelang in Oldenburg lebte. Das Paar hatte zwei Söhne: Julius (1897) und Gustav (1900). Im Jahr 1902 zog die Familie nach Oldenburg, da Meir Meyberg eine Stelle als Lehrer und Kantor in der örtlichen Jüdischen Gemeinde erhalten hatte. Die Familie lebte im Haus Nr. 6 in der Peterstraße, im Gebäude der jüdischen Schule direkt neben der Synagoge. Julius und Gustav besuchten beide das Alte Gymnasium. Julius war dort von 1906 bis 1913 Schüler und ging anschließend nach Hamburg, um eine kaufmännische Ausbildung zu beginnen. Ab 1926 hatte er eine leitende Position in der Lack- und Farbenfabrik Rudolf Reich inne. 1929 heiratete er Frieda Birnbaum aus Hannover. Bald darauf wurden ihre beiden Kinder geboren, Ruth und Manfred – und dann zerstörte das NS-Regime ihr Leben. Im Jahr 1942 wurden Fanny und Julius aus Hamburg deportiert. Fanny starb 1943 im Ghetto Theresienstadt, Julius wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Auch Frieda und die beiden Kinder wurden in Auschwitz getötet. Überlebt hat nur Julius’ Bruder Gustav Meyberg, der bereits 1934 nach Palästina emigriert war, sowie seine Familie. Ausführlichere Biografien der Familienmitglieder sind auf der Website der Oldenburger Bürgerstiftung zu finden.

    Fanny Meyberg
    © Oldenburger Bürgerstiftung
    Julius Meyberg
    © Oldenburger Bürgerstiftung

    Am 9. November 2025, nahezu zeitgleich mit der Einweihungszeremonie des neuen Mahnmals in der Peterstraße, legten unweit davon die Mitglieder und Freunde der Liberalen Jüdischen Gemeinde Oldenburg Blumen am Denkmal für alle Opfer des Nationalsozialismus in Oldenburg nieder. In Gedenken an die Opfer der Schoa wurden das Kaddisch-Gebet und das Gebet „El male rachamim“ gesprochen. Unerwartet näherte sich der Gruppe eine kleine Anzahl von Menschen – wie sich herausstellte, waren es Angehörige der Familie Meyberg, die zur Einweihung des Erinnerungszeichens nach Oldenburg gekommen waren. Es entstand ein informelles, freundschaftliches Gespräch. Eine bemerkenswerte Episode dieses Austauschs: Mike Meyberg, der Enkel von Fanny Meyberg, zu deren Gedenken das neue Erinnerungszeichen errichtet wurde, war nicht zum ersten Mal in Oldenburg. Er kannte die langjährige Vorsitzende der örtlichen Jüdischen Gemeinde, Sara-Ruth Schumann, gut. Mit ihr hatte er einst die Idee der „Stolpersteine“ besprochen und erinnert sich deutlich an ihre feste Haltung: dass es unzulässig sei, jüdische Namen mit Füßen zu treten oder die auf dem Gehweg liegenden Steine zu verunreinigen. Die Mitglieder der Familie Meyberg berichteten außerdem, dass sie sämtliche Kosten für die Herstellung und Installation des Erinnerungszeichens in der Peterstraße übernommen haben.

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    „Erinnern wir uns an alle mit Namen … das brauchen nicht die Toten, das brauchen die Lebenden …“ Es ist kaum anzunehmen, dass der Initiator des Projekts „Stolpersteine“, der Kölner Künstler, Bildhauer und Graveur Gunter Demnig, oder Prof. Kilian Stauss aus München, der das Projekt der „Erinnerungszeichen auf Augenhöhe“ entworfen hat, ebenso wie andere Beteiligte an der Bewahrung des Gedenkens an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland, diese Zeilen aus dem „Requiem“ des russischen Dichters Robert Roshdestvenski kennen. Doch „und die Asche von Claes klopfte an sein Herz“ auch in ihren Herzen: Die Zahl der jüdischen Leben, die in der Zeit des Nationalsozialismus ausgelöscht wurden, geht in die Millionen … „Jedes Opfer soll seinen Stein erhalten und seinen Namen zurückbekommen“, sagt Demnig. „Kein einziger Mensch, kein einziges Schicksal darf spurlos verschwinden. Natürlich ist es unrealistisch, Millionen Steine zu verlegen. Mein Projekt hat daher eher symbolischen Charakter. Es ist ein Ort des Gedenkens – nicht für alle Juden, obwohl alle Juden Opfer waren“, betont er, „sondern gerade für jene, deren Namen in den Stein eingraviert sind.“ Dasselbe lässt sich auch über die Schöpfer anderer Gedenkzeichen sagen, die heute die Straßen deutscher Städte prägen.

    Autor: Yakub Zair-Bek
    Es wurden Fotografien aus frei zugänglichen Quellen sowie aus dem Archiv von @DerBote–DerShlikh verwendet.

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