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Neue Gemeinde: Ersre Schritte

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    In einem ruhigen und grünen Stadtteil Oldenburgs, in der Nähe des Schlossgartens, liegt in einer Straße, die nach dem berühmten Reichskanzler Otto von Bismarck benannt ist, eine schöne Villa. Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts im damals modernen Architekturstil „Jugendstil“ (eine Variante des Jugendstils mit deutschen Akzenten) erbaut. In seiner fast 150-jährigen Geschichte hat das Gebäude mehrmals den Besitzer gewechselt. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sei erwähnt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedene Institutionen beherbergte, zuletzt die Landesverwaltung für Binnenschifffahrt. Seit nunmehr 20 Jahren gehört das Gebäude einem Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – dem Institut für Ökonomische Bildung (IÖB). Ich erwähne es aber nicht im Zusammenhang mit Wirtschafts- oder Bildungsfragen. Vielmehr hat sich in diesem Gebäude in der Bismarckstraße 31 etwas ereignet, das eng mit der Gründung einer weiteren Jüdischen Gemende in der Stadt an der Hunte, einem Nebenfluss der Weser, verbunden ist.

    Am 13. Oktober 2024 (11. Tischri 5785 nach dem jüdischen Kalender) wurden im gemütlichen Konferenzraum dieser Villa in feierlicher Atmosphäre die Dokumente zur Gründung einer neuen jüdischen Gemeinde in der Stadt unterzeichnet – die Satzung und das Gründungsprotokoll der Liberalen Jüdischen Gemeinde Oldenburg (LJGO). An der Gründungsversammlung der neuen Gemeinde, an der 14 ihrer Gründer und mehrere Freunde der Gemeinde teilnahmen, nahmen auch die Vorsitzende der Union progressiver Juden in Deutschland (UPJ), Irit Michelsohn, und die Geschäftsführerin der UPJ, Ekaterina Solodkaja, teil. In ihrer Ansprache gratulierte Frau Michelsohn den Anwesenden zur Gründung der Gemeinde und wünschte ihr viel Erfolg, ohne die noch zu überwindenden Schwierigkeiten zu verschweigen. Es wurde ein fünfköpfiger Gemeindevorstand gewählt, wobei Pavel Goldvarg einstimmig zum ersten Vorsitzenden der Gemeinde und Ekaterina Smolina zu seiner Stellvertreterin gewählt wurden.

    Nun sind einige Monate vergangen. Und am 1. April 2025 (3. Nissan 5785) wurde die lang erwartete Registrierung der Gemeinde durch einen entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg endgültig abgeschlossen. Auch wenn dies am Tag des Lachens geschah, war diese Entscheidung von großer Bedeutung, denn mit der Gründung der liberalen Gemeinde wird das jüdische Leben in der Stadt noch vielfältiger. Die Gründung der liberalen jüdischen Gemeinde ist das Ergebnis einer konsequenten Politik des deutschen Staates zur Förderung und Entwicklung des Judentums auf Bundes-, Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene.

    Logo der Liberalen Jüdischen Gemeinde Oldenburg

    Wie im Christentum, das verschiedene Strömungen kennt – Katholizismus, Orthodoxie, Protestantismus und andere -, gibt es auch im Judentum verschiedene Strömungen: orthodoxes, konservatives und liberales Judentum. Betrachtet man das Judentum als Ganzes, so wird deutlich, dass die Mehrheit der Juden weltweit dem liberalen Judentum angehört, das die dominierende Bewegung innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft darstellt und eine Alternative zum orthodoxen Judentum bildet. Die Wurzeln des liberalen Judentums, das jahrtausendealte Tradition und Moderne verbindet, liegen im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts und gehen auf die Ideen von Moses Mendelssohn, Israel Jacobson, Leopold Zunz, Abraham Geiger und Zacharias Frankel zurück.

    Diese Bewegung, die sich der Weiterentwicklung jüdischer Traditionen widmete, war in den letzten Jahrzehnten vor der Schoa die vorherrschende Strömung des Judentums in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg schien das liberale Judentum in Deutschland für immer verschwunden zu sein. Erst Anfang der 1990er Jahre, mit der Zuwanderung einer großen Zahl von Jüdinnen und Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, gewannen die Ideen des liberalen Judentums – auch progressives Judentum genannt – in Deutschland wieder an Bedeutung. Diese Ideen zeichnen sich durch eine geringere Betonung ritueller Vorschriften und der individuellen Einhaltung religiöser Gebote aus, wie sie für die traditionellen jüdischen Bewegungen typisch sind. Im Mittelpunkt des liberalen Judentums steht die Autonomie des Einzelnen in Glaubens- und Lebensfragen. Darüber hinaus ist das liberale Judentum offen für äußere Einflüsse und gesellschaftlichen Fortschritt.

    Mit der Gründung der liberalen jüdischen Gemeinde in Oldenburg ist eine weitere Entwicklung und Vielfalt jüdischen Lebens in dieser norddeutschen Stadt zu erwarten. Von Anfang an war die neue Gemeinde untrennbar mit der Union progressiver Juden in Deutschland (UPJ) verbunden. Und obwohl sich die offizielle Registrierung der Gemeinde und ihre Eintragung in das staatliche Register über ein halbes Jahr hinzog, saßen die Gemeindemitglieder und ihr Vorstand in dieser Zeit nicht untätig herum, sondern setzten alles daran, ein aktives jüdisches Leben in der neuen Gemeinde zu beginnen. Dass dies nicht einfach war, ist verständlich: Die Gemeinde hat noch keine eigenen Räumlichkeiten für Veranstaltungen, es fehlen Finanzierungsquellen, es gibt keinen Rabbiner. Diese Schwierigkeiten sind jedoch eher vorübergehender Natur und die neue Gemeinde blickt positiv in die Zukunft.

    In dieser Situation haben ehrenamtliche Helfer und Sponsoren große Unterstützung geleistet. Besonders hervorzuheben ist der wissenschaftliche Leiter und Geschäftsführer des Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB) an der Universität Oldenburg, Prof. Dr. Dirk Loerwald. Mit seiner freundlichen Genehmigung wurde der Gemeinde das Recht eingeräumt, sonntags – wenn sich keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gebäude des IÖB aufhalten – ihre organisatorischen Veranstaltungen im Konferenzraum des Instituts durchzuführen. Dort stehen ein Computer, ein Beamer und eine große Leinwand für die Präsentation der notwendigen Informationsmaterialien zur Verfügung. Die liberale Landesrabbinerin und Kantorin Hamburgs, Alina Treiger, hat die neu gegründete Gemeinde kontinuierlich methodisch unterstützt, beraten und an ihren Veranstaltungen teilgenommen.

    Die neue Gemeinde führte eine Reihe von Veranstaltungen in den Räumen eines Oldenburger Kulturzentrums durch, für die sie die Erlaubnis des Leiters des Zentrums erhielt. Und wenn keine geeigneten Räume zur Verfügung standen, fanden die Treffen in Privatwohnungen von Gemeindemitgliedern statt. Kurzum: Wenn der Wille da war – und davon gab es genug – fand sich immer eine Lösung! Zuletzt feierte die Gemeinde die jüdischen Feste Chanukka, Tu bi-Schewat, Purim und Pessach in einer sehr herzlichen, fast familiären Atmosphäre. Es gab mehrere Treffen des Seniorenclubs und Diskussionen über die überarbeitete Gemeindesatzung, den Veranstaltungskalender und andere wichtige Themen.

    Chanukka, Foto zur Erinnerung
    Treffen des Seniorenclubs zum Purim-Fest
    Seniorenclub der neuen Gemeinde
    Seniorenclubtreffen
    Tu Bischwat feiern
    Pessach feiern

    Die neu gegründete Liberale Jüdische Gemeinde Oldenburg hat einen nicht leichten Weg der Festigung und Entwicklung vor sich. Den Mitgliedern der Gemeinde und ihrem Vorstand wünschen wir von Herzen vor allem Gesundheit und schöpferischen Erfolg zum Wohle des liberalen Judentums in Oldenburg.

    Autor: Yakub Zair-Bek
    Fotos aus den Archiven von @LJGO und @DerBote-DerShlikh

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