Dies ist bereits der dritte Aufsatz in der neuen Rubrik „Unsere Freunde“, die wir vor kurzem auf der Website „Der Bote-Der Shlikh“ eröffnet haben. Wir widmen diesen Essay der hellen Erinnerung an Klara Kryzhanovskaya, ein aktives Mitglied des Seniorenclubs, Korrespondentin der Gemeindezeitung „Westnik“ und einfach eine wunderbare Gefährtin und Freundin.
Sie wurde am 18. September 1946 in Kiew, Ukraine, in eine assimiliierte jüdische Familie geboren. Im ersten Nachkriegsjahr lagen viele Städte der Ukraine, darunter die schöne Hauptstadt Kiew, in Trümmern. Bei ihrem Rückzug aus Kiew sprengten die Nazis die Stolz der Stadt – die Hauptstraße Chreschtschatyk – sowie zahlreiche andere Gebäude und Einrichtungen. Sofort nach der Befreiung Kiews begann man, die monströsen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, zu heilen. Unter solchen Bedingungen verging die Kindheit der jungen Klara. Dennoch bemühten sich ihre Eltern, dass ihre Erstgeborene, Klarochka, nach Möglichkeit wohlhabend aufwuchs, satt war, schön gekleidet und geschuht war und gut betreut wurde. Von klein auf liebte Klara das Tanzen, bewegte sich hervorragend und besuchte einen Choreografie-Zirkel. Diese Liebe zum Tanz und zur Volksmusik trug Klara ihr ganzes Leben lang in sich.
Dieser Essay ist kein biografischer Aufsatz im klassischen Sinne. Ich werde nicht ausführlich auf alle Etappen von Klares Lebensweg eingehen; vielmehr ist es eine emotionale Erzählung über einige davon, die es auf die eine oder andere Weise ermöglichen soll, zu verstehen, wer Klara Kryzhanovskaya war und wofür sie lebte.
In ihrer Jugend und während des Studiums war Klara ein aktives Mitglied des Tanzkollektivs – des Ensembles für ukrainischen Volkstanz. Diese Choreografische Gruppe war nicht einfach ein selbstverwalteter „Tanzzirkel“, sondern ein nahezu professionelles Ensemble, das nicht nur mehrfach Gewinner und Preisträger verschiedener Stadt- und republikanischer Festivals und Wettbewerbe wurde, sondern auch auf Tournee in verschiedene Städte der Ukraine und darüber hinaus ging. Die wunderschönen ukrainischen Volkskostüme und die „lebendige“ Musik trugen zum Erfolg dieser Gruppe bei. Der junge Solistin des Ensembles, Klarochka, verliebte sich Peter Kryzhanovsky, der viele Jahre älter war als sie. Der Ukrainer mit polnischen Wurzeln verliebte sich aufrichtig in die hübsche Jüdin. Als er in die Armee einberufen wurde, bat er Klara um ein Foto als Andenken, doch sie hatte nichts anderes als ein altes Schulfoto. Während all der Jahre, die Peter in der Armee diente, führten die beiden eine rege Korrespondenz. In einem seiner Briefe erzählte Peter, dass das damals noch kindliche Foto durch das ständige Tragen in der Tasche seiner Uniform völlig beschädigt war und er bat sie, ihm ein neues zu schicken. Klara ging ins Fotostudio und ließ dort ein hervorragendes Porträt machen, sogar eine ganze „Fotosession“. Was für einen Zopf! Was für eine Schönheit!
После демобилизации Петра из армии, молодые люди вскоре поженились. Затем родилась дочка Таня. Пётр работал врачом, Клара — инженером. Жизнь продолжалась…
Klara Kryzhanovskaya in jungen Jahren
Mit Ehemann Peter und Tochter Tanja
Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als im Land alles zerfiel und in Chaos verwandelte, begann die Familie darüber nachzudenken, auszuwandern und dauerhaft nach Israel oder Deutschland zu ziehen. Nach langen Zweifeln und Überlegungen beschlossen sie, im Konsularbereich der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kiew einen Antrag auf Umsiedlung nach Deutschland zu stellen. Im Juli 2002 ließ sich die Familie Kryzhanovsky in der niedersächsischen Stadt Oldenburg nieder.
Es schien, als könnte man nun ein ruhiges und beschauliches Leben als Rentner führen. Doch die in Klara brodelnde Energie wollte nach außen und verlangte nach einem Ventil. Klara besuchte Sprachkurse, die von der Arbeitsagentur angeboten wurden, und beherrschte die deutsche Sprache recht gut. Das Ehepaar Kryzhanovsky kaufte ein kleines Stück Land in einem Kleingartenverein innerhalb der Stadt, wo sie eine schöne Blumenrabatte, Johannisbeer- und Stachelbeersträucher sowie einige Obstbäume anlegten. Sie bauten ein kleines Gartenhaus, eine Laube und gestalteten das Gelände. Auf diesem „Wochenendgrundstück“ arbeitete hauptsächlich Peter, während Klara ihm half. Gleichzeitig führte sie ein aktives Leben in der Jüdischen Gemeinde Oldenburgs: Sie arbeitete in der Küche als Teil einer „Küchenteam“, war in der Redaktion der Gemeindezeitung „Wesnik“ für den Kulturbereich zuständig und schrieb hervorragende Artikel und emotionale Essays über Klavierkonzerte, Kunstausstellungen und Theateraufführungen. Bei den Sitzungen des Seniorenclubs hielt sie interessante Vorträge und trug Gedichte auf Ukrainisch vor. Sie war generell sehr emotional, ein wenig empfindlich, und manchmal ging sie auch „über das Ziel hinaus“. Klara war eine große Modeikone, kleidete sich immer schön, benutzte dezentes Make-up, machte Maniküre und hatte eine elegante Frisur, weshalb sie trotz ihres Alters gut aussah. Sie tanzte hervorragend und war überhaupt „ein ganz normaler Mensch“.
Und dann brachen Unglücke und Trauer über ihre Familie herein. Zunächst erkrankte Peter schwer. Er war lange Zeit krank und kämpfte um sein Leben, doch die schwere Krankheit setzte sich durch. Er verstarb am 23. März 2016 und wurde auf dem christlichen Friedhof in Oldenburg beigesetzt. Sein Tod war ein schwerer Schlag für Klara, aber sie hielt sich so gut sie konnte. Sogar einmal reiste sie mit einem jungen Partner zu einem Seminar über jüdische und israelische Tänze, das von der Zentralen Wohlfahrtsorganisation der Juden in Deutschland veranstaltet wurde. Es fand in dem schönen Kurort Bad Sobernheim im Bundesland Rheinland-Pfalz statt. Sie träumte davon, in der Gemeinde ein Tanzensemble zu gründen, konnte jedoch nicht genügend Teilnehmer finden.
Klara machte sich große Sorgen über die nicht ganz gesunde Atmosphäre in der Gemeinde und versuchte, etwas zur Verbesserung des Mikroklimas zu tun. Doch die tückische Krankheit schlich sich auch an sie heran. Unser letztes Gespräch mit Klara drehte sich um die Sozialarbeiterin in der Gemeinde: wie seelenlos, intolerant und unaufmerksam sie den Menschen gegenüber war und überhaupt nicht in ihrer Rolle als Sozialarbeiterin passte. Unerwartet für viele und sehr schnell verstarb Klara Kryzhanovskaya. Dies geschah am 9. März 2024. Noch am Vortag, am Frauentag, hatte ich sie beglückwünscht… Und wieder – März, der Monat des Frühlings und der Hoffnungen, aber… Klara überlebte ihren Ehemann Peter genau um 8 Jahre. Auf Wunsch der Familie wurde sie auf dem christlichen Friedhof in Eversten, Oldenburg, beigesetzt.
In der jüdischen Gemeinde und nicht nur…
Für die Illustration dieses Essays habe ich Fotos aus dem Archiv der Familie Klara verwendet, von denen einige sie mir geschenkt hat, während andere ihre Tochter Tatjana übergeben hat. Außerdem wurde das Fotoarchiv des Seniorenclubs genutzt.
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Gerade jetzt, aus der Perspektive der gelebten Jahre und des angesammelten Lebenswissens, beginnt man besonders intensiv zu begreifen, wie wichtig es ist, die verstorbenen Freunde nicht zu vergessen, mit denen so viel erlebt, besprochen und gefühlt wurde… Ich durchblätter oft mein riesiges Fotoarchiv, das zum großen Teil dank unseres Fotoreporters Michail Beilis entstanden ist, wofür ich ihm besonders dankbar bin. Von den alten Fotos blicken mir die Gesichter längst verstorbener Freunde entgegen, aber sie sind noch lebendig, lächelnd und fröhlich, und mein Herz zieht sich zusammen vor Mitleid und der Unmöglichkeit, irgendetwas zu ändern…
Es ist ein bekanntes Sprichwort: „Die Menschen leben, solange wir sie erinnern.“ Meine Großmutter, die Schauspielerin Tatjana Borisowna Ramina, erwähnte dieses Zitat oft in leicht abgewandelter Form, die auf ihren Beruf anwendbar war. Sie sagte: „Ein Schauspieler lebt, solange sein letzter Zuschauer lebt.“ Natürlich wurde das in einer Zeit gesagt, als es noch kein Kino und Fernsehen gab, aber man muss zugeben, dass da etwas Wahres dran ist. Denken wir an das berühmte Zitat aus William Shakespeares Stück „Wie es euch gefällt“: „Die ganze Welt ist eine Bühne, und die Menschen darauf sind Schauspieler.“ Man kann all diese Äußerungen erweitern: Wir alle sind Zuschauer und gleichzeitig Schauspieler. Wir erinnern uns an die verstorbenen Freunde, und ich hoffe, man wird sich auch an uns erinnern. Möge die Erde ihnen allen leicht sein und ihr Andenken in Frieden ruhen…
Autor: Yakub Zair-Bek
(Fotos von Michail Beilis und aus dem Archiv der Familie Kryzhanovsky)