Unter dem Titel „Erlebt das Jiddische eine Renaissance?“ veröffentlichten wir unter der Startseite einen Artikel, in dem wir von den Versuchen erzählten, die alte jüdische Sprache Jiddisch wiederbeleben. Die Hauptursache für das Aussterben dieser Sprache waren die Vernichtung von 6 Millionen Juden durch Nazis während der Shoah und die Politik des staatlichen Antisemitismus der ehemaligen Sowjetunion, aber ebenso die Massenauswanderung (vor allem nach Übersee) von europäischen Juden, die die Shoah überlebt haben. Das alles hat dazu geführt, dass die meisten Juden gegenwärtig der sogenannten Sprache „Mame-Loshn“ nicht mächtig sind. Wir haben auch darüber berichtet, was man in Israel macht, um Jiddisch wiederzubeleben. Dieser Artikel hat großes Interesse bei unseren Leserinnen und Lesern geweckt, da viele von ihnen diese Sprache schon als Kinder gehört hatten: Ihre Großväter und Großmütter haben diese Sprache gesprochen. Deswegen möchten wir dieses Thema gerne fortsetzen. Heute erzählen wir von Jiddisch und davon, welche Bedeutung es sowohl für andere Sprachen als auch für die Weltkultur als Ganzes hat.
Jiddisch entstand in Zentral- und Osteuropa im 10.-14. Jahrhundert auf der Grundlage von mittel- und oberdeutschen Dialekten, die mit Elementen aus dem Althebräischen, aus aramäischen und slawischen Sprachen sowie später auch aus dem heutigen Hochdeutsch angereichert wurden. Die Verschmelzung von Sprachen erzeugte eine originelle Grammatik, die erlaubte, Wörter mit deutschen Wurzeln in eine den semitischen und slawischen Sprachen entlehnte Syntax einzubetten. Obwohl Jiddisch der germanischen Sprachgruppe angehört und auf deutschem Boden geboren wurde, darf man folgendes nicht vergessen: Es ist die Sprache der Juden, die Teile der heiligen Sprache „loshn kojdesch“ – also der hebräischen Sprache – in sich aufgenommen hat. Einfache, umgangssprachliche Wörter und Redewendungen wie auch Schimpf- und Jargonwörter gingen dabei vom Hebräischen ins Jiddische über – um dann ein Eigenleben in ganz anderen Sprachen zu entwickeln. Ungeachtet dessen wäre es falsch, Jiddisch einfach auf den Begriff Slang zu reduzieren.
Unterschiede zwischen zwei Sprachen der Juden aufzeigen:
– Hebräisch lernt man, aber Jiddisch kann man.
– Wer kein Hebräisch spricht, mag ungebildet sein – wer kein Jiddisch spricht, ist kein Jude.
– G-tt spricht Jiddisch im Alltag und Hebräisch am Schabbat.
Jiddisch ist eine sehr farbenfrohe Sprache, und viele markante jiddische Wörter sind auch in den Sprachgebrauch von Nichtjuden übergegangen. Auch im modernen Deutsch sind mehr als 1000 Worte jiddischen Ursprungs. Hier sind ein paar Beispiele: Schlamassel – Unglück, Unheil; Massel – Glück; meschugge – dumm, verrückt; Mischpoke – Familie; Schickse – Dirne, Nutte; Schmonzes – sinnlose Sache; Tacheles – ehrlich, offen, aufrichtig; Stuss – Unsinn, Dummheit; Tinnef – Müll, Abfall; Schtetl – Siedlung; Kassiber – geheimes Schreiben; Schmiere – Salbe; Schmock – Schwachkopf, Idiot; Ganeff – Dieb; Maloche – schwere und unnötige Arbeit u.a.
Ein interessantes Detail: Da Jiddisch und auch seine Dialekte, die die Juden in baltischen Ländern, in der Ostukraine und Weißrussland sprachen, dem Deutschen stark ähneln, konnten Juden, die aus diesen Regionen nach Deutschland ausgewandert sind, schnell Deutsch lernen und sich erfolgreich in ihr neues Lebensumfeld integrieren. Solche Beispiele gibt es in vielen jüdischen Gemeinden in Deutschland.
Es gibt wunderbare Bücher in Jiddisch. Als Beispiel kann man das Schaffen des weltweit bekannten Schriftstellers und Bühnenautors Scholem Aleichem nennen, einen der Begründer der jiddischsprachigen Literatur der Gegenwart, ebenso wie das von Mendele Mojcher-Sforim und Izchack-Lejb Perez.
Es wäre also noch verfrüht, das Sterben der jiddischen Sprache zu betrauern. Orthodoxe chassidische Familien in den USA und in Israel sprechen immer noch Jiddisch im Alltag und benutzen Hebräisch nur für das Reden zu G-tt. Der Nobelpreisträger Jizchak Bashevis Singer (1902-1991), der seine Bücher in Jiddisch schrieb, wies darauf hin, dass der Untergang der jiddischen Sprache schon 1935, als er in die USA übersiedelte, prophezeit wurde. Und dennoch lebt diese Sprache noch heute und zeigt erstaunlich wenig Interesse daran, wer sie wann schon für tot erklärt haben will.
Autor: Yakub Zair-Bek, basierend auf Materialien aus der jüdischen Presse, übersetzt ins Deutsche