Jüdische Namen auf der Karte von Oldenburg
Kapitel 3. Der legendäre Lehrer, Schriftsteller und Arzt Janusz Korczak

In den ersten beiden Kapiteln dieser Essayreihe habe ich über die nach dem letzten Rabbiner vor dem Krieg, Professor Leo Trepp, sowie dem letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde vor dem Krieg, Adolph Daniel de Bir, benannten Straßen in Oldenburg berichtet und dabei auch auf deren schwierigen Lebensweg eingegangen. In diesem Kapitel werde ich über die Janusz-Korczak-Straße berichten. Korczak hatte zwar keinen direkten Bezug zur jüdischen Geschichte Oldenburgs, hat aber zweifellos einen unauslöschlichen Eindruck in der Geschichte des weltweiten Judentums hinterlassen. Es wird auch um den Lebensweg dieses legendären Pädagogen, Arztes und Schriftstellers sowie um seinen großen Mut und seine Selbstaufopferung gehen.



Janusz Korczak (Hersh Henryk Goldszmit) wurde am 22. Juli 1878 in Warschau im Königreich Polen, das damals zum Russischen Reich gehörte, geboren. Obwohl die Familie assimiliert war und polnische Traditionen hochhielt, erlebte sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Schwierigkeiten und Unterdrückung. Der zukünftige Pädagoge und Schriftsteller erhielt eine brillante Ausbildung. Er besuchte das russische Gymnasium in Warschau. Er beherrschte Russisch, Polnisch, Deutsch und Französisch hervorragend, lernte alte Sprachen und absolvierte die medizinische Fakultät der Kaiserlichen Universität Warschau. Janusz Korczak, der zu dieser Zeit bereits dieses Pseudonym trug, war im Krieg gegen Japan, im Ersten Weltkrieg sowie im sowjetisch-polnischen Krieg der 1920er Jahre als Militärarzt an der Front tätig.

Sein pädagogisches Talent zeigte sich schon früh: Mit nicht einmal fünfzehn Jahren gab der spätere Janusz Korczak, damals noch Henrik, erfolgreich Nachhilfeunterricht. Den Erinnerungen seiner Schüler zufolge konnte er selbst den langweiligsten Stoff interessant und spannend vermitteln. Mit achtzehn Jahren veröffentlichte er seinen ersten Artikel über pädagogische Probleme mit dem Titel „Der gordische Knoten“. Im Jahr 1911 gab er seine Arztpraxis endgültig auf und übernahm die Leitung des gerade gegründeten „Waisenhauses” für jüdische Kinder. Dabei nahm er das Pseudonym Janusz Korczak an, unter dem er bereits zuvor seine literarischen Werke veröffentlicht hatte. In dieser Einrichtung wollte er seine pädagogischen Ideen in die Tat umsetzen. Die Entscheidung, mit jüdischen Waisenkindern zu arbeiten, war kein Zufall. In Polen, das von einer Atmosphäre des Antisemitismus geprägt war, befanden sich gerade diese Kinder in einer besonders schwierigen Lage. Zusammen mit seiner Kollegin und Freundin Stefania Wilczyńska arbeitete Janusz Korczak in den ersten Monaten seiner Tätigkeit als Direktor ununterbrochen und fast ohne Schlaf. Ihre Aufgabe bestand darin, die ehemaligen Straßenkinder umzuerziehen, was äußerst schwierig war. Parallel dazu schulte er andere Pädagogen im Umgang mit Waisenkindern in verschiedenen Situationen. Das Hauptprinzip von Korczaks pädagogischem System war die moralische Erziehung. Er war einer der Ersten, dem es gelang, Selbstverwaltung unter Kindern zu etablieren. Für ihn war das Internat eine gleichberechtigte Gemeinschaft, in der die Kinder ihre eigene Verwaltung und ihr eigenes Rechtssystem schufen. Durch gemeinsame Arbeit und Interessen wurden gegenseitige Hilfe und ein Gefühl der Verantwortung gefördert.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde Korczak als Arzt an die Front einberufen. Zur gleichen Zeit begann er mit dem Schreiben des Buches „Wie man ein Kind liebt“, in dem er betonte, dass es unmöglich sei, ein Kind zu lieben, ohne seine Individualität anzuerkennen. Er vertrat die Ansicht, dass Kinder die gleichen Rechte wie Erwachsene haben sollten. Nach dem Krieg kehrte Korczak in sein „Waisenhaus“ zurück und betreute auch ähnliche Einrichtungen, die von Gleichgesinnten gegründet worden waren.


Janusz Korczak ist der Autor zahlreicher Kinderbücher, darunter die bekanntesten „König Matioš der Erste“, „Der Bankrott des kleinen Jack“ und „Kajtuśa, der Zauberer“. Von 1926 bis 1939 gab er die Wochenzeitung Mały Obzor für Kinder und Jugendliche heraus. In den 1930er Jahren besuchte er zweimal das Mandatsgebiet Palästina (1934 und 1936), wo er viele seiner ehemaligen Zöglinge traf und zahlreiche heilige Stätten besuchte. Am meisten interessierte ihn jedoch die Pädagogik: Er beobachtete den Erziehungsprozess und untersuchte das Leben jüdischer Kinder.
Das Waisenhaus in Warschau arbeitete noch über dreißig Jahre lang weiter, sogar als der Zweite Weltkrieg begann. Während der deutschen Besatzung und in dem von den Nazis eingerichteten Warschauer Ghetto versuchte Janusz Korczak, ein Heim für schwerkranke und sterbende Kinder zu gründen. Damit nahm er die Idee der Kinderhospize vorweg. Er tat alles in seiner Macht Stehende, um den leidenden Kindern eine würdige Pflege zu gewährleisten, obwohl er wusste, dass es unmöglich war, ihr Leben zu retten. Anfang 1942 leitete Janusz Korczak ein weiteres Waisenhaus, das sogenannte „Hauptasyl”. Im Mai desselben Jahres begann er, ein Tagebuch zu führen, in dem er alle Schrecken der Besatzungszeit in chronologischer Reihenfolge beschrieb.


Im Sommer 1942 kam der Befehl, die Waisenkinder in ein Konzentrationslager zu bringen. Niemand wusste, wohin sie gebracht werden sollten. Janusz ahnte, dass dies nichts Gutes bedeuten würde. Deshalb versuchte er, die Deutschen davon zu überzeugen, dass die Kinder besonders fleißig waren und ihnen beispielsweise beim Nähen von Kleidung für die deutsche Armee nützlich sein könnten. Er setzte alles daran, ihnen das Leben zu retten. Doch am 6. August 1942 wurden alle 192 Zöglinge in das Konzentrationslager Treblinka deportiert. Mit ihnen gingen Janusz Korczak, seine Freundin Stefania und acht weitere Personen.
Janusz Korczak lehnte es dreimal ab, sein Leben zu retten. Das erste Mal geschah dies, als er sich vor der Besetzung Polens gegen eine Auswanderung nach Palästina entschied, um das „Waisenhaus” nicht kurz vor den schrecklichen Ereignissen seinem Schicksal zu überlassen. Ein weiteres Mal lehnte er ab, als er das Angebot erhielt, aus dem Warschauer Ghetto zu fliehen. Er weigerte sich kategorisch, seine Schützlinge zu verlassen und an einen sicheren Ort zu gehen. Ein drittes Mal lehnte er ab, als alle Bewohner des „Waisenhauses” bereits in die Güterwagen des Zuges gestiegen waren, der sie ins Vernichtungslager Treblinka bringen sollte. Ein SS-Offizier ging auf Korczak zu und fragte ihn: „Haben Sie ‚König Matuschka‘ geschrieben?” „Ich habe dieses Buch als Kind gelesen. Ein gutes Buch. Sie können gehen.“ – „Und die Kinder?“ – „Die Kinder fahren mit. Aber Sie können den Waggon verlassen.“ – „Sie irren sich. Das kann ich nicht.“ Nicht alle Menschen sind Schurken.“ Am nächsten Tag betrat Janusz Korczak zusammen mit den Kindern die Gaskammer im Konzentrationslager Treblinka. Auf dem Weg dorthin hielt er die beiden jüngsten Kinder im Arm und erzählte ihnen ein Märchen.
Das von Liebe zu Kindern und großer Seelenstärke geprägte Werk von Janusz Korczak ist in vielen Ländern bekannt. Dieser außergewöhnliche Mensch führte ein bewegtes Leben und hinterließ zahlreiche Bücher über und für Kinder. In ihnen lehrt er, die Persönlichkeit von Kindern zu respektieren und zu entfalten. Er ist eine der größten Autoritäten der Weltkultur und Pädagogik sowie ein großer Humanist. Er hätte noch viel mehr schreiben können, wenn die Nazis nicht in sein geliebtes Polen eingefallen wären …



Auch Oldenburg in Niedersachsen war nicht untätig. So wurde im Stadtteil Bürgerfeld eine Straße nach dem weltberühmten Pädagogen und Schriftsteller Janusz Korczak benannt: der Janusz-Korczak-Weg. Das Gebiet wurde ursprünglich von den Oldenburger Bürgern als Weideland genutzt. Daher stammt auch der Name des Stadtteils: „Bürgerfeld” oder „Weideland für das Vieh der Bürger”. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war dieses Gebiet praktisch unerschlossen. Durch die Bebauung im Laufe des 20. Jahrhunderts erhielt es jedoch sein heutiges Aussehen. Eine der neuen Straßen, die nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt wurden, erhielt den Namen des großen Pädagogen und Humanisten.

In der Stadt Oldenburg selbst gibt es keine Janusz-Korczak-Schule, in der Region Oldenburg jedoch mehrere: die Janusz-Korczak-Schule in Twistringen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen mit dem Schwerpunkt Sprachunterricht, die als Ganztagsschule organisiert ist und andere Schulen in benachbarten Gemeinden unterstützt, die Janusz-Korczak-Schule in Alhorn/Ganderkesee für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und die private alternative Janusz-Korczak-Schule in Verden.
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Janusz Korczak betrat am 7. August 1942 gemeinsam mit seinen Schützlingen die Gaskammern des Konzentrationslagers Treblinka. Er ging als Held in die Geschichte ein, der eine Heldentat im Namen der Kinder – oder besser: im Namen der Menschheit – vollbrachte. In der heutigen Welt, in der wir erneut mit wiederauflebendem Neonazismus und Antisemitismus zu kämpfen haben, erinnern uns das Leben und der Tod von Janusz Korczak daran, wie gefährlich es ist, diese Bedrohung für die gesamte Menschheit zu vergessen.
Autor: Yakub Zair-Bek
Fotos aus dem Archiv des Autors und aus öffentlichen Quellen