Die Geschichte eines Fotos



Chanukka-Leuchter
Historisches Foto

Auf dem Foto ist ein Chanukka-Leuchter auf dem Fenstersims der Wohnung gegenüber dem Hauptquartier der Nationalsozialisten zu sehen, das sich im Gebäude des Stadtrats von Kiel befand. Auf der Rückseite des Fotos steht die Inschrift: „Chanukka 5692. Die Flagge sagt: ‚Judäa, stirb‘. ‚Judäa, lebe ewig‘ antworten die Kerzen“ (Die ersten Worte stammen aus einem nationalsozialistischen Lied, gefolgt von einer leicht abgewandelten Zitat aus dem Propheten Joel). Das Foto wurde von Rachel, der Frau des Rabbiners Akiva Posner, im Dezember 1931 aufgenommen, als sie die Symbolik des Moments erfasste. Einen Monat später, nachdem sie die entwickelten Fotos erhalten hatte, beschriftete sie sie auf Deutsch, verteilte sie an jüdische Zeitungen in Deutschland und… vergaß dann diese Geschichte.

Viele Jahre später wurde das Foto einer beleuchteten Chanukka-Menora vor einem Hintergrund mit einem nationalsozialistischen Banner im Jüdischen Museum Berlin ausgestellt. Es wurde zum Symbol des Kampfes zwischen Licht und Dunkelheit. Es waren keine Einzelheiten bekannt: Wer das Foto aufgenommen hatte, wo, wann und unter welchen Umständen.

Inzwischen begannen Mitarbeiter von Yad Vashem – dem israelischen staatlichen nationalen Holocaust- und Heldengedenkstätte – nach dem Autor des Fotos zu suchen. Eines Tages gab es eine kleine Spur: Auf einer der entdeckten Kopien konnte der Name Mansbach entziffert werden. Bald wurden Shlomit Mansbach, die Enkelin des Rabbiners Akiva Posner, und die Menora selbst gefunden. Es stellte sich heraus, dass die Chanukkia all die Jahre in Israel war.

Shlomit erzählte, dass ihr Großvater, der letzte Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Kiel vor dem Krieg, Anfang der 1930er Jahre öffentlich Kritik am nationalsozialistischen Regime geübt hatte und gezwungen war, nach Brüssel zu fliehen. Nachdem er schließlich die ersehnten Dokumente erhalten hatte, zog er nach Israel. Vor seiner Abreise hatte Akiva Posner den Juden in Kiel befohlen, Deutschland zu verlassen. Glücklicherweise folgte die Mehrheit von ihnen dem Rat ihres geistlichen Mentors.

Die Posners ließen sich im Bukharischen Viertel von Jerusalem nieder und verwendeten all die Jahre die Chanukkia, die aus Deutschland mitgebracht worden war, für Hanukkah. Genau diejenige, die auf dem Foto zu sehen ist. Die Familie Mansbach überließ die Chanukkia der Obhut von Yad Vashem, stellte jedoch eine Bedingung: Jedes Jahr während Hanukkah nehmen sie die Chanukkia mit nach Hause und geben sie nach Abschluss des Festes wieder ins Museum zurück.

Diese Geschichte hat kürzlich eine Fortsetzung erhalten. Im Jahr 2022 kam Jehuda Mansbach, der Enkel von Akiva Posner, nach Deutschland, um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu treffen, und brachte genau diese Chanukkia mit, die sich wieder in Deutschland befand – zum ersten Mal seit der Familie Posner das Land 1933 verlassen hatte und ins Heilige Land gegangen war.

Yehuda Mansbach (rechts) mit Bundespräsident Steinmeier und seiner Frau. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Yehuda Mansbach beim Anzünden von Kerzen. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Im Schloss Bellevue in Berlin wurde die historische Chanukkia angezündet, die auf dem historischen Foto zu sehen ist und zum Symbol des jüdischen Ungehorsams gegenüber den Nazis geworden ist. Vor 90 Jahren floh die Familie Posner, der die Chanukkia gehörte, vor dem Holocaust, und an Hanukkah 2022 sagte der Präsident Deutschlands in seiner Begrüßungsrede: „Das ist nichts anderes als ein leuchtendes Wunder“. Jehuda Mansbach konnte während des Anzündens der Kerzen seine Tränen nicht zurückhalten.

Autor: Yakub Zair-Bek
Basierend auf Materialien aus der deutschen Presse