Jüdische Adressen Oldenburgs
Die zehnte Adresse: Dedestraße
Wir setzen die Veröffentlichung von Essays aus der Reihe „Jüdische Adressen Oldenburgs“ fort. Heute präsentieren wir Ihnen den zehnten Essay, der der Geschichte des jüdischen Friedhofs in der Dedestraße in Oldenburg und den weiteren Ereignissen im Zusammenhang mit diesem alten Friedhof gewidmet ist. Dieses Essay ist vom Umfang her etwas größer als die vorherigen Essays dieser Reihe. Doch der Alte jüdische Friedhof in Oldenburg ist ein besonderer Ort in der Geschichte der Juden der Stadt. Mit ihm sind Ereignisse verbunden, die man nicht unerwähnt lassen kann.
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Bis 1814 bestattete die Jüdische Gemeinde Oldenburg ihre Verstorbenen im benachbarten Varel. Doch 1814 erwarb die Gemeinde in Ostenburg, das damals ein ländlicher Vorort von Oldenburg war, ein Grundstück für einen jüdischen Friedhof, und im selben Jahr fand dort die erste Beisetzung statt. Diese Datierung wird durch den Grabstein des Kindes Joschua Reyersbach im östlichen Teil des Friedhofs bezeugt. Der Friedhof wurde nicht nur von den Juden aus Oldenburg genutzt, sondern auch von denen aus den umliegenden Orten, insbesondere Zwischenahn und Wardenburg. 1862 wurde der Friedhof erweitert, und wenige Jahre später wurde eine Mauer um ihn errichtet.
Der gesamte Friedhof ist ein steinernes Archiv des jüdischen Lebens im Land Oldenburg und ein Zeugnis der Aktivitäten jüdischer Bürger in unserer Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Viele Namen auf den Grabsteinen erinnern uns an bedeutende Persönlichkeiten: zum Beispiel an den ersten Landrabbiner Bernhard Weksler, der 1874 starb; die Familie der Eigentümer der Textilfirma Steinthal; Karl Ballin aus der Bankiersdynastie; den Hoflieferanten Halo; die Eigentümer der Musikinstrumentenfirma Reiersbach; die Familie der Inhaber des Damenmodegeschäfts Walheimer; die Familie des Hofbuchhändlers Landsberg; den Oberrabbiner des Großherzogtums Oldenburg Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, David Manheimer; Rabbi de Haas und andere.
1921 wurde auf dem Friedhof nach den Plänen des Ingenieurs Bibel eine Trauerhalle errichtet. Das Gebäude wurde mit Mitteln des Mitglieds der Jüdischen Gemeinde, des Kaufmanns Leo (Leizer) Trommer, in Erinnerung an seinen einzigen Sohn Arthur, der 1918 verstorben war, finanziert. Die Eröffnungszeremonie des Gebäudes, die großes Interesse bei den Stadtbewohnern weckte, fand am 1. Mai 1921 in Anwesenheit des Landrabbiners von Oldenburg, de Haas, statt, und die lokalen Zeitungen berichteten ausführlich über dieses Ereignis.
In der Kristallnacht am 10. November 1938 versuchten zwei Schläger der SA, die Trauerhalle in Brand zu setzen, was ihnen jedoch nicht gelang. Daher warfen die Täter die Einrichtung des Saals und die Holztüren in einen Haufen und zündeten diesen an. Dank der massiven Bauweise des Gebäudes brannte nur das Inventar, während der Saal selbst nicht stark beschädigt wurde.
Elemente der Trauerhalle, die nach alten Skizzen rekonstruiert wurden
Gedenkstein auf dem Massengrab der Kriegsgefangenen von 1941-1942
Dennoch stellte die Jüdische Gemeinde Oldenburg im November 1938 ihre Existenz ein, und der Friedhof blieb gewissermaßen „verwahrlost“. Von Ende August 1941 bis Ende Dezember 1942 wurden auf dem jüdischen Friedhof in Oldenburg etwa 60 Menschen beerdigt, hauptsächlich gefangene Soldaten der Roten Armee, die in Arbeitslager zur Zwangsarbeit interniert waren. Hunger und Krankheiten, kombiniert mit der schweren Arbeit beim Straßenbau sowie Gewalt gegen diese, überwiegend jungen Männer, führten zu ihrem Tod, und die Verstorbenen wurden nachlässig auf dem jüdischen Friedhof begraben.
Nach dem Ende des Krieges beauftragten die britischen Besatzungsbehörden den Stadtrat, Arbeiten zur Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs durchzuführen. So begann die Stadt Oldenburg 1948 mit der Restaurierung der Trauerhalle. Auf Initiative von Adolf de Bir wurde dort eine Tafel mit einer Inschrift in Hebräisch und Deutsch angebracht: „Klagelieder, 2:13 – Groß wie das Meer ist deine Wunde, wer wird dich heilen? Den Märtyrern des Landes Oldenburg 1933-1945.“ Die über viele Jahre andauernde Diskussion darüber, wer die Kosten tragen sollte, verzögerte jedoch die Reparatur und Wiederherstellung des Saals um viele Jahre. Erst 1975 wurden die Renovierungsarbeiten abgeschlossen. 1994 spendete Margaret Collins in Erinnerung an ihren verstorbenen Ehemann Erik Collins Mittel für den Magen David, den Davidstern, der auf der Kuppel der Trauerhalle angebracht wurde. Ein symbolisches Massengrab wurde 1948 angelegt. Damals wurde dort auch eine einfache Gedenktafel ohne Nennung von Namen aufgestellt, auf der vermerkt war, dass hier 54 Kriegsopfer aus Russland begraben liegen.
Erst 2018 wurde von der Stadt Oldenburg ein Wettbewerb für Projekte eines Denkmals zur Erinnerung an die anonym beigesetzten Kriegsopfer an diesem Ort ausgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klargestellt worden, dass hier nicht 54 Personen ruhen, wie zuvor angenommen, sondern 56 Opfer. Die Jury ermittelte den Gewinner des Wettbewerbs: Es wurde der Künstler und Bildhauer Amir Omerovic, Dozent an der Hochschule für Künste in Bremen, der ein originelles Projekt entwickelte.
Das Denkmal zum Gedenken an die Kriegsopfer
Am 22. Juni 2021, dem 80. Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, fand die feierliche Eröffnung des Gedenkmonuments auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Oldenburg statt. Fast hundert Menschen kamen, um der Opfer von Grausamkeit und Tyrannei zu gedenken – Vertreter der Stadtverwaltung, des Christlich-Jüdischen Gesprächskreises, von Organisationen, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, gewöhnliche Stadtbewohner sowie Korrespondenten von Fernsehen und Printmedien. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann eröffnete das Denkmal und enthüllte die angeschlossene Stele mit den Namen der Kriegsopfer, auf der in deutscher und englischer Sprache die Inschrift eingraviert ist: „Die Spuren an diesem Ort erinnern an das Leiden und den Tod während der Zeit des Nationalsozialismus von 56 Kriegsopfern sowjetischer, polnischer und unbekannter Herkunft. Diese 48 Soldaten und 8 Zivilisten mussten zwischen 1941 und 1943 in Oldenburg sterben und wurden hier in einem namenlosen Grab beigesetzt.“
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Vor sechs Jahren wandten sich Vertreter des Oldenburgischen Staatstheaters mit einer unerwarteten Bitte an die Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Oldenburg, Alina Trejger. Sie berichteten, dass Mitarbeiter der Perückenabteilung des Theaters während einer Inventur von Equipment und Requisiten eine kleine Holzkiste mit menschlichem Haar entdeckt hatten, das zur Herstellung von Perücken und Bärten verwendet werden könnte. Über den Ursprung dieser Haare waren keine Dokumente gefunden worden, jedoch gab es den furchtbaren Verdacht, dass sie möglicherweise von Insassen von Konzentrationslagern, Opfern des nationalsozialistischen Regimes, stammten. Diese Vermutung basierte auf den Erinnerungen einer ehemaligen Mitarbeiterin des Theaters, die vor ihrer Pensionierung diese Geschichte ihrer Nachfolgerin erzählt hatte. Die Möglichkeit, dass diese Haare einen solchen Ursprung hatten, und das Bewusstsein über die Unmöglichkeit, sie für theatrale Zwecke zu verwenden, lösten im Theater Entsetzen und den Wunsch aus, eine angemessene Lösung zu finden, weshalb sie sich um Hilfe an die Jüdische Gemeinde wandten.
Es wurde beschlossen, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus symbolisch zu bewahren. Da keine Informationen darüber vorliegen, woher dieses Haar stammt und wem es gehörte – ob Juden oder Nichtjuden – spielte das keine Rolle: Entscheidend ist die Tatsache, dass diese Menschen, wer auch immer sie waren, Opfer des nationalsozialistischen Regimes wurden.
Als Ort der Beisetzung dieser Haare wurde der Alte Jüdische Friedhof in Oldenburg ausgewählt. Man entschied sich, kein separates Grab zu schaffen, sondern diese Beisetzung an der Mauer des Friedhofs vorzunehmen. Am 16. September 2018 fand eine kleine Trauerzeremonie statt, bei der die Kiste mit den Haaren der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur beigesetzt wurde. Gleichzeitig wurde beschlossen, diesen Ort mit einem Gedenkstein zu kennzeichnen – einem Stein, der der jüdischen Tradition entspricht und zugleich diese besondere Beisetzung symbolisiert. Zwei engagierte Personen, ein jüdisches Ehepaar aus Oldenburg, fanden sich bereit, den Stein auszuwählen, zu bestellen und am Ort der Beisetzung zu installieren, wobei sie alle Kosten übernahmen. Die Installation des Gedenksteins an der Friedhofsmauer wurde mit dem Tag des Gedenkens an die Gefallenen und Opfer des Terrors (Yom ha-Zikaron) verbunden, der am 13. Mai 2024 begangen wurde. Auf dem grauen Stein mit roten Einschlüssen, die das Blut unschuldiger Opfer symbolisieren, ist die Inschrift in deutscher Sprache und Hebräisch angebracht: „Hier ruhen die menschlichen Haare von Opfern des nationalsozialistischen Regimes.“ Der Stein hat unregelmäßige Kanten, was die gebrochenen Leben der Holocaustopfer symbolisiert, deren Haare unter diesem Gedenkstein begraben sind. Nach der Installation des Steins sprach Rabbinerin Alina Trejger ein Erinnerungsgebet.
Zeremonie zur Eröffnung des Gedenksteins an der Stelle der Beisetzung der Haare
Die ehrwürdige Eröffnung dieses kleinen Denkmals auf dem Alten Jüdischen Friedhof fand am 18. August 2024 statt. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, ihre Freunde und Gäste versammelten sich in der Trauerhalle, um der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu gedenken. Rabbinerin Alina Trejger hielt eine kurze Ansprache an die Anwesenden. Anschließend gingen alle Teilnehmer der Trauerveranstaltung zum Standort des Gedenksteins und sprachen gemeinsam mit der Rabbinerin das Gebet „El male rachamim“, um das Andenken aller Opfer des nationalsozialistischen Regimes zu ehren. Danach wurden, gemäß jüdischer Tradition, kleine Steine am Fuß des Denkmals niedergelegt.
Nach der Eröffnung des neuen jüdischen Friedhofs in der Sandkruger Straße im Jahr 2000 fanden auf dem alten Friedhof in der Dedestraße kaum noch Beisetzungen statt. Die letzte Beisetzung datiert aus dem Jahr 2010.
Autor: Yakub Zair-Bek