Das Geheimnis von Francesca Gaal
Francesca Gaal… Der Name dieses strahlenden Sterns des Vorkriegsfilms ist jener Generation gut bekannt, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg oder bald danach geboren wurde. Wer von ihnen hat nicht die Filme mit ihrer Mitwirkung gesehen, erinnert sich nicht beispielsweise an den kleinen kecken Peter, der vom flimmernden Kinobildschirm fröhliche Lieder singt, oder an den berühmten Film „Kleine Mutter“, in dem Francesca Gaal brillant die Rolle der Oberstufenschülerin Marie Bonnard spielte, die durch die Umstände gezwungen wurde, die Mutter eines bezaubernden Kindes zu werden?
Das Leben dieser Schauspielerin ist voller Geheimnisse und Rätsel. Nicht einmal ihr echter Name und ihr Geburtsdatum sind vollständig geklärt. In einem der Dokumente wurde sie als Fanny Silberspitz geführt, obwohl in der filmwissenschaftlichen Literatur auch andere Namen und Nachnamen vorkommen – Silberstein, Silberich und sogar Malka Galisenstein. Auch beim Geburtsdatum gibt es wieder ein Rätsel. Die Nachschlagewerke behaupten, dass sie am 1. Februar 1903 geboren wurde, während Filmhistoriker glauben, dass es ein Jahr später am 2. Januar war. Folgendes ist jedoch sicher bekannt: Das Mädchen wurde in Budapest in einer kinderreichen jüdischen Familie geboren. Übrigens lebte Fanny nicht lange mit dem Namen und Nachnamen, die ihr bei der Geburt gegeben wurden. Der Grund dafür war ihre rasante künstlerische Karriere, die dieses zerbrechliche jüdische Mädchen mit dem ungewöhnlichen Aussehen machte.
Mit vierzehn Jahren, heimlich vor ihren Eltern und sich zwei Jahre älter machend, trat Fanny in die Theatralische Akademie von Budapest ein. Interessanterweise blieb die talentierte junge Frau dort nicht einmal ein Jahr: Sie schwänzte zu viel und wurde deshalb ausgeschlossen. Tatsächlich lief sie ständig von den Unterrichtsstunden zu Aufführungen, Filmen und Konzerten davon. Gerechterweise muss man sagen, dass Fanny sich gleichzeitig intensiv selbst weiterbildete: Sie las die russischen Klassiker, studierte das System von Stanislawski eigenständig und entwickelte ihr Gesangstalent weiter. Bald darauf spielte die ehemalige Studentin in kurzer Zeit in fünf Filmen mit und versuchte gleichzeitig, eine Theaterkarriere zu starten.
Doch die Theater in Budapest beeilten sich nicht, die schöne junge Filmdebütantin auf die Bühne zu holen. Die offiziellen Ablehnungsgründe erscheinen heute lächerlich: „unmusikalisch“, „schlecht gebaut“ und sogar „sprachliche Mängel“! Vielleicht wäre damit alles zu Ende gewesen, wenn nicht „seine Majestät der Zufall“ eingegriffen hätte. Im „Vígszínház“-Theater erkrankte plötzlich eine Schauspielerin. Die hartnäckige junge Frau, die sich als „Schauspielerin Francesca Gaal“ vorstellte, bot ihre Dienste an. Sie spielte die Rolle mit so viel Leidenschaft und Professionalität, dass sie sofort fest angestellt wurde. Zum Leidwesen der Produzenten vernachlässigte sie das Kino völlig, nachdem sie sich ganz dem Theater verschrieben hatte. In wenigen Spielzeiten spielte sie Irina in „Drei Schwestern“, Natascha in „Nachtasyl“, Anja in „Der Kirschgarten“ und Eliza Doolittle in „Pygmalion“. Letztere Rolle, die in ganz Budapest bekannt wurde, öffnete ihr den Weg zur Operette. Ende der 1920er Jahre war Gaal die Primadonna der ungarischen Bühnen. „Veilchen von Montmartre“ und „Die Zirkusprinzessin“, „Gräfin Mariza“ und „Die Rose von Stambul“ mit ihr in den Hauptrollen waren Kassenschlager.
Doch das Schicksal wollte es, dass Francesca Gaal rasch in die Reihen der Stars des Tonfilms aufstieg, der den Stummfilm ablöste. Zusammen mit ihrem Freund, dem Journalisten Hermann Kosterlitz, zog sie von Budapest nach Berlin, wo er für Francesca einen unglaublich vorteilhaften Vertrag mit dem Filmkonzern „UFA“ aushandelte: Sie erhielt die Hauptrolle in der Tonfilmkomödie „Paprika“ (1931).
Der Erfolg des Films war grandios. Gaal wurde zur „neuen deutschen Filmdiva“ erklärt. Bald darauf spielte sie in weiteren Musikfilmen mit, die vom Publikum genauso begeistert aufgenommen wurden wie der erste. Doch in dem Land waren bereits die Nationalsozialisten an die Macht gekommen, die Francesca Gaal aus rassistischen Gründen verfolgten. Dabei scheuten die höchsten Parteibonzen nicht vor drastischen Ausdrücken zurück. So erklärte Alfred Rosenberg: „Wenn diese Jüdin nicht innerhalb eines Tages aus Berlin verschwindet, werden wir die Angelegenheit vor den Reichskanzler bringen!“
Francesca zog nach Österreich, wo sie ihre künstlerische Karriere genauso erfolgreich fortsetzen konnte wie zuvor. In Wien achtete man damals noch nicht besonders auf die Anweisungen des Reichs. Das erklärt, warum Francesca Gaal bei der „Tobis-Sascha-Film“ sofort in der musikalischen Filmkomödie „Csibi, das kecke Mädchen“ mitspielte, und kurz darauf in einem weiteren Film, „Skandal in Budapest“. Nach dem erneuten Erfolg seiner Freundin beschloss Hermann Kosterlitz, sich auch als Filmregisseur zu versuchen. Drei Jahre in Folge schufen sie zusammen Filme: „Eva und Peter“ (im sowjetischen Verleih „Peter“), „Kleine Mutter“ und „Katharina die Letzte“.
Witzig und fröhlich, rührend und bescheiden, sinnlich und zurückhaltend, einfallsreich und herzlich – das sind die Eigenschaften, mit denen die Schauspielerin ihre Heldinnen ausstattete. Nach dem Anschluss Österreichs durch die Nationalsozialisten wurde Gaal aufgefordert, das Land umgehend zu verlassen.
Sie wollte von Wien nach Budapest ausreisen, doch die Horthy-Regierung hatte bereits ein Gesetz erlassen, das Juden die Arbeit in Theatern und Filmstudios verbot. So landete Francesca schließlich in Paris. Der Sommer 1938 in der französischen Hauptstadt war der Höhepunkt ihres Ruhms. Man ahmte sie in allem nach. Nicht nur ihre Stupsnase und die dünnen Augenbrauen zogen die Aufmerksamkeit der Pariserinnen auf sich, sondern auch Frisuren wie „nach Peter“ oder „nach Csibi“ wurden modisch. Frauen trugen überall „Kleine-Mama“-Hütchen, „Peter“-Hosen und „Katharina“-Kleider.
Nachdem sie sich im Ruhm gebadet hatte, zog die Schauspielerin nach Hollywood, wo der Produzent Joe Pasternak und Hermann Kosterlitz, der den Künstlernamen Henry Koster angenommen hatte, ihr ein sorgenfreies Leben und interessante Arbeit versprachen. Viele im Filmgeschäft behaupteten damals, dass sie ihre Karriere auch in der „Traumfabrik“ erfolgreich fortsetzen würde. Anfangs war es auch so. Allerdings musste Francesca ihr Aussehen ändern, um den örtlichen Standards zu entsprechen – sie ließ ihren Mund, ihre Nase, die Augenform, das Kinn und die Brustgröße anpassen, änderte ihre Haarfarbe und nahm ab, um schlanker auszusehen. Sie wurde sogar ein wenig „gestreckt“, um ein paar Zentimeter an Körpergröße zu gewinnen. Die Schauspielerin blieb zweieinhalb Jahre in den USA.
Sie spielte in drei amerikanischen Filmen mit, bereitete sich jedoch auf den vierten vor – ein Remake von „Frühlingserwachen“, als sie den wichtigsten Begleiter ihres persönlichen und künstlerischen Lebens verlor. Henry Koster verweigerte ihr die Rolle und lud stattdessen die junge Deanna Durbin ein. Francesca Gaal war ihm nicht mehr nötig – weder als Schauspielerin, noch als Freundin, noch einfach als Frau an seiner Seite…
In einem Anflug von Verzweiflung, aufgewühlt von Emotionen, verließ der Filmstar plötzlich alles, überquerte erneut den Ozean und kehrte trotz der Gefahr in ihre Heimat, nach Budapest, zurück. In dem Hotel, wo sie vorübergehend untergebracht war, steckte ihr der Portier unbemerkt einen Zettel zu, auf dem stand: „Die Gestapo sucht Sie!“ Für mehr als vier Jahre lebte sie im feuchten Keller des Hauses ihrer langjährigen Freunde, in einem Viertel, in dem hauptsächlich ethnische Deutsche lebten, aber keiner von ihnen verriet sie. Ihre Mutter wurde ins Budapester Ghetto deportiert, wo sie unter Qualen starb. Die Schwester der Schauspielerin wurde im Konzentrationslager Pressburg ermordet. Während einer Razzia wurde ihr Neffe direkt auf der Straße erschossen. Solche Nachrichten brachte man ihr in die Dunkelheit des Verlieses zusammen mit einer spärlichen Ration an Nahrung. Später gab es niemanden mehr zu benachrichtigen: Die Nazis hatten fast die ganze Familie Gaal vernichtet. Francesca nannte es „meine persönliche Abrechnung mit den Faschisten“. Im Februar 1945 wurde Budapest von der Roten Armee gestürmt. Sowjetische Soldaten retteten die Schauspielerin, die in der UdSSR bekannt und sehr beliebt war.
Einer der sowjetischen Offiziere erinnerte sich später: „Mit einer Gruppe Soldaten stiegen wir in die U-Bahn ab, wo sich die Zivilbevölkerung der Stadt versteckt hatte – Frauen, alte Menschen, Kinder… Es war ein schwerer Anblick. Die Menschen waren erschöpft vom Hunger, von der Kälte, von der Feuchtigkeit, sie fürchteten uns. Plötzlich löste sich eine abgemagerte Frau in Lumpen von einer Gruppe ab. Sie begann unerwartet zu singen und streckte uns ihre von Krätze entstellten Hände entgegen. Es war ein Lied aus ‚Peter‘, und vor uns stand… Francesca Gaal selbst!“
Ihr wurden Lebensmittel zugeteilt, normale Unterkunft anstelle des zerstörten Hauses bereitgestellt und ein Komfort geboten, der während des Krieges nur schwer zu schaffen war. Am 9. Mai 1945 trat Gaal zum ersten Mal seit 15 Jahren auf die Bühne und schloss damit das Galakonzert in der Wiener Oper für sowjetische Soldaten und Offiziere. Sie sang auf Russisch „Polyushko-pole“ und „Katyusha“ und dann mehrere Lieder aus ihren Filmen. Sie trank unbehandelten Alkohol mit allen anderen auf den Sieg. Zur Begeisterung der sie umgebenden Offiziere schimpfte sie Hitler und seine Gruppe aus. „Unsere Frau!“, konnte ein General nur sagen.
Im August 1945 kam Gaal in die UdSSR, wo sie drei Monate verbrachte. Sie besuchte offiziell Leningrad, Odessa und Kiew. Inkognito und unter der Aufsicht des NKWD besuchte sie noch neun weitere Städte. Sie sagte, dass sie davon träumte, auf der Bühne des Moskauer Kunsttheaters zu spielen, und sie wollte auch die sowjetischen Offiziere treffen, die sie in dem zerstörten Budapest gerettet hatten. Leider blieben beide Träume Träume, und die Schauspielerin bat unerwartet um die Rückkehr in ihre Heimat, wobei sie versprach, „unbedingt nach Moskau zurückzukehren und in einer musikalischen Komödie mitzuspielen“. In Budapest begann sie mit den Dreharbeiten zu dem Film „René XIV, oder der König rebelliert“. Nach dem ersten und einzigen Drehtag im Februar 1946 verschwand Franceska Gaal still und spurlos aus Ungarn.
Jemand sah sie später in Paris, und jemand anders in London. Es gab lange Gespräche darüber, dass sie in die USA zurückgekehrt sei. Berichten zufolge lebt sie angeblich in New York und bereitet sich auf einige unglaubliche Aufnahmen vor. Aber das sind nur Gerüchte. In Wirklichkeit erinnerte sich in Amerika kaum noch jemand an sie: In Hollywood strahlten neue Stars… Ihr wurden nur bescheidene, unauffällige Rollen angeboten. Das Geld war schnell weg, Einkommen gab es praktisch keines, so dass Franceska manchmal sogar hungerte. So verurteilt zu Qualen und Obskurität, starb sie in fremdem Amerika im Alter von 69 Jahren. Es wird angenommen, dass ihr Tod durch dieselbe „Verlängerung“ verursacht wurde, die Franceska im Laufe der Zeit so hilflos machte, dass sie sich nicht mehr selbstständig bewegen konnte. Die populäre Schauspielerin, die vor dem Krieg in vielen Ländern bekannt war, schien im Raum und in der Zeit verschwunden zu sein.
Uns Zuschauern bleiben nur ihre Filme und der Mythos einer der charmantesten und unmittelbarsten Schauspielerinnen des Weltkinos, die für alle immer die geheimnisvolle und luxuriöse Franceska Gaal geblieben ist.
Autor: Yakub Zair-Bek, (Foto aus dem Archiv des Autors und aus offenen Quellen)